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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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als sei sie ein gestelltes Tier.
    »Kur verfluche euch!« schrie Inanna. Sie wollte nur noch eins: diesen Wilden töten. Ein derber Hieb traf sie, dann ein zweiter. Sie taumelte zurück. Der Himmel wirkte wie ein Stück blauen Stoffs. Überall Schmerzen, Staub und Erde im Mund, Hände an ihrem ganzen Körper, die an ihren Brüsten zogen und ihr die Kleider vom Leib zerrten. Inanna biß sich auf die Zunge und schmeckte Blut. Sie schlugen auf sie ein, wieder und wieder, bis sie am Boden lag. Zwei Wilde hielten sie dort fest, während die beiden anderen versuchten, von vorn und von hinten in sie einzudringen.
    Instinktiv streckte Inanna einen Arm aus und berührte die Schulter des Mannes, der auf ihr lag. Wenn die Macht in mir ist, sagte sie sich, dann soll sie mich retten. Aber ihrer Berührung wohnte keine besondere Macht inne. Der Mann auf ihr packte sie nur fester, als er bemerkte, daß sie sich regte. Der furchtbare Gestank seines Atems ließ Inanna würgen.
    Dann geschah es plötzlich: Etwas strömte durch ihren ganzen Körper, etwas Warmes und Leichtes, füllte sie mit Macht an und ergoß sich aus dem Stern in ihrer Handfläche. Der Wilde auf ihr erschlaffte. Er versuchte erneut, in sie einzudringen, aber auch jetzt wollte es ihm nicht gelingen. Verwirrt ließ er von Inanna ab und sprang so hastig auf, als hätte er sein Glied verbrannt. Der Mann brüllte den anderen etwas zu, und da ließen auch sie von Inanna ab und hielten ein paar Schritte Abstand zu ihr. Ihre Sprache klang niedrig wie das heisere Bellen von Hunden. Inanna stützte sich auf Hände und Knie auf.
    Als sie hoch sah, starrten die vier Wilden sie mit tiefer Furcht an. Der Große mit den fehlenden Vorderzähnen löste die Kette von seinem Hals und legte sie vor Inanna auf den Boden. »Verschwinde!« schrie sie ihn so laut an, daß er sich umdrehte und davonrannte. Die anderen folgten ihm. Bald waren sie im Unterholz verschwunden. Einmal wurde noch ein Zweig gebrochen, dann war alles ruhig. So ruhig, daß sie nur noch das heftige Schlagen ihres Herzens hören konnte.
    Inanna blieb noch eine Weile auf Händen und Knien und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Endlich setzte sie sich hin, zog das Gewand wieder über die Knie und betrachtete die Kette mit den gelben Zähnen, die vor ihr auf dem Boden lag. Sie wollte nicht daran denken, zumindest im Augenblick nicht. Aber der Gedanke ließ sich nicht verdrängen.
    Sie starrte auf ihre geballte Faust und fürchtete sich vor ihrer eigenen Macht. Langsam und vorsichtig öffnete sie die Hand und sah auf das Sternenzeichen im Zentrum der Innenfläche. Wer bist du? wollte sie wissen. Was verlangst du von mir? Wohin bringst du mich? Eine kleine Eidechse trippelte auf den Weg und starrte sie mit glänzenden schwarzen Augen an. Oben am Himmel zogen dicke und aufgeplusterte weiße Wolken in einer geraden Linie vorüber.
    Inanna stand auf. Sie mußte weiter, denn hier konnte sie nicht bleiben. Ein einzelner gelber Schmetterling flatterte träge an ihr vorbei und ließ sich auf einer Blume nieder. Sein winziger Schatten tanzte wie etwas Lebendiges auf dem Pfad vor ihr. All diese Schönheit war nichts als eine Falle, die einen vergessen machen sollte, daß überall Gefahren lauerten. Inanna sah zu, wie der Schmetterling wieder in die Lüfte stieg und sich dann auf einer anderen Blume niederließ. Sie holte weit aus und warf die Kette so weit es ging ins Gestrüpp. Die Zähne zogen im Sonnenlicht einen hellen Bogen, bis sie im Gehölz verschwanden.
    Inanna riß Blätter von einem Busch, öffnete ihren Wassersack und schrubbte wütend und erbarmungslos ihren ganzen Körper ab. Bärenfett, alt und schal wie bei einem toten Tier. Der Gestank war überall auf ihr. Sie griff sich eine Handvoll Wacholdernadeln, zerdrückte sie und rieb sich damit Hände und Arme ein. Dann besah sie sich den Weg. Niemand war mehr dort, um sie aufzuhalten. Zumindest schien es so. Wie dem auch sei, es blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als weiterzulaufen. Sie nahm ihren Wanderstab und machte sich nicht übermäßig eilig auf den Weg zum Gipfel.
     
    Oben war der Wind kalt und scharf, und Inanna zitterte, als er ihr durch das dünne Gewand pfiff, ihr Haar zerzauste und ihr so heftig das Wasser in die Augen trieb, daß sie kaum noch etwas sehen konnte. Und er rauschte ihr so sehr in den Ohren, daß sie davon fast taub geworden wäre. Rings um sie herum schlugen die Zweige der Wacholderbüsche so heftig aus wie bei Vögeln, die in eine Falle

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