Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
hatten sie ihr Feuer gesehen, ein dünner blauer Rauchfaden, der ihnen verriet, daß sich dort Beute befinden mußte. Den ganzen Tag über waren sie der Frau gefolgt. So leise wie Schatten und ohne jemals einen Zweig zu knicken oder einen Vogel aufzuscheuchen. Nun warteten sie ihre Zeit ab. Stundenlang konnten sie so regungslos liegenbleiben, daß sogar die übervorsichtigen Gänse neben ihnen ihr Gefieder putzten und selbst kleine Eidechsen sie mit Steinen verwechselten und sich zum Sonnen auf ihnen niederließen. Ja, sie waren große Jäger und hatten ihrem Volk in diesem Sommer schon viel Fleisch gebracht. Aber die Frau dort sollte nicht die Fleischvorräte vergrößern, sie sollte dem Vergnügen dienen.
    Schakal saugte durch die Lücken, wo seine Zähne ausgeschlagen worden waren, prüfend die Luft ein und machte einen vorsichtigen Grunzlaut, um damit den anderen zu verstehen zu geben, daß alles bestens lief. Sie würden die Frau ziemlich nah herankommen lassen, sie dann wie ein Wolfsrudel umzingeln und endlich großen Spaß mit ihr haben. Und noch besser war, dachte Schakal, ihr nach ihrem Tod die fremdartigen Felle abzunehmen, die sie trug. Die konnte er dann zu seiner eigenen Frau bringen und vor ihr prahlen: »Sieh nur, dein anderer Mann hat dir nichts weiter als etwas zu essen gebracht. Ich, Schakal, aber bringe dir wunderbare Dinge.« Schakal spähte vorsichtig über den Rand und schätzte ab, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr Opfer nahe genug heran war. WähWährend noch wartete, ertönte aus den Büschen hinter ihm ein leises Stöhnen. Die Frau unten auf dem Weg blieb stehen und hob den Kopf, so als habe sie das auch gehört. Augenblicklich schlichen sich Panther und Wildkatze davon, ohne dabei auch nur einen Grashalm zu bewegen. Sie hätten den Gefangenen gleich töten sollen, dachte Schakal und rieb sich mit der Handfläche über die tätowierten Klauenzeichen auf seiner Stirn. Seit Wochen schon schleppten sie den Mann mit, denn bei der Rückkehr zu ihrem Volk sollte er Oton geopfert werden. Aber er war ein schwächliches Wesen, hatte Hände so weich wie ein Rehfell, und eines seiner Beine verfaulte. Als sie dem Mann feines rohes Fleisch und sogar das frische Blut von einem gerade erlegten Tier angeboten hatten, hatte er das nicht zu sich nehmen wollen. Und als sie ihm beides mit Gewalt hatten in den Mund schieben wollen, hatte er sich wie ein Säugling übergeben.
    Schakal hörte hinter sich das vertraute Geräusch eines Steins, der mit großer Wucht auf einen Schädel geschlagen wurde. Er grunzte befriedigt zu Großer Bär, der matt nickte.
    Großer Bärs Körper war so mit Schmutz bedeckt, daß man ihn nur mit Mühe vom Boden unterscheiden konnte. Und er machte ganz den Eindruck, als würde es ihm große Freude bereiten, wenn er hier den ganzen Tag lang in die Sonne liegen konnte. Aber Schakal kannte Großer Bär gut genug, um zu wissen, daß er ein nicht zu überbietender Läufer war, sobald er sich erst einmal in Bewegung gesetzt hatte. An einem Tag, als sie gerade im Weiten Tal auf Jagd gewesen waren, hatte Großer Bär nur so zum Spaß eine kleine Gazelle verfolgt und ihr so lange keine Ruhe gelassen, bis sie vor Erschöpfung tot umgefallen war.
    Leise wie Schlangen glitten Panther und Wildkatze neben ihre Kameraden zurück. Schakal machte einen leisen Schnalzlaut im hinteren Rachenraum, was soviel bedeutete wie: »Ist der Gefangene tot?« Panther nickte, beugte sich vor und rieb dann seine Nase an der von Schakal, womit er sagen wollte: »Nur wir sind noch hier, lieber Bruder.« Wildkatze grunzte ungeduldig, als er dieses Zeichen der Freundschaft zwischen Schakal und Panther bemerkte, und hob schnüffelnd den Kopf. Jetzt hatten alle vier den Geruch der näherkommenden Frau in der Nase. »Bereit?« fragte Schakal mit den Augen. »Ja«, antworteten Panther, Wildkatze und Großer Bär mit den Augen, »wir sind bereit.«
    Bis auf den gelegentlichen Ruf eines Vogels oder das flinke Rascheln einer Eidechse im Gras hörte Inanna nichts außer ihren Schritten. Vor ihr verengte sich der Weg plötzlich übergangslos, ahs er zum Paß hin anstieg. Die steilen Felswände waren bedeckt mit Zwergwacholderbüschen, die vom Wind in alle möglichen sonderbaren Formen verbogen worden waren, und Büscheln von Miniaturblumen, die direkt aus Steinritzen wuchsen. Unten im Tal war es Spätsommer, hier hatte gerade erst der Frühling begonnen. Der letzte Schnee schmolz noch von den Gipfeln, und kleine Bäche

Weitere Kostenlose Bücher