Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
hatten sie bereits dagesessen, ohne ein Wort miteinander zu reden, und hatten nur zugesehen, wie der Schnee auf den See fiel.
    »Ja«, sagte sie nur, »das würde ich gern tun.« Sie legte ihm die Arme um den Hals und zog sein Gesicht ganz nah an das ihre heran. »Wie sehr ich dich liebe«, hauchte sie. »Ich wußte nicht, was Liebe ist, bevor ich dich getroffen habe.«
    »Genauso ist es mir auch ergangen.«
     
    Aber einige Male lief es auch nicht so gut zwischen ihnen. Spät im Winter, als dicke Eisschollen auf dem See trieben und die Sonne schon seit Tagen nicht mehr herausgekommen war, fiel eine Mischung aus Regen und Graupeln vom Himmel. Drei Tage hielt das an, tropfte durch das Schilfdach der Hütte und durchtränkte alles. Inanna saß, ohne zu klagen, die ganze Zeit über am Feuer. Ihre Lippen waren vor Kälte blau, und sie hatte einen argen Husten, aber sie erwähnte den Matschregen nicht ein einziges Mal. Statt dessen schien sie sich wie ein Fuchs, der Winterschlaf halten wollte, in sich selbst zurückzuziehen. Enkimdu hatte das unangenehme Gefühl, daß sie weit weg war von ihm. Er wußte, daß sie wieder ganz die alte sein würde, sobald die Sonne vom Himmel schien, aber ihr langes Schweigen beunruhigte ihn dennoch sehr. Nun, da sein Bein endlich verheilt war, konnte er sich auch wieder um andere Probleme kümmern.
    »Ich will dir etwas von der Stadt erzählen«, begann er und legte ihr einen Arm um die Schulter. Wie kalt sie sich unter dem Gewand anfühlte, und ihre Hände waren wie aus Eis. Wenn ich dich jemals verlieren sollte, wollte er ihr sagen, würde ich am liebsten sterben. Aber er wußte, daß sie solche Worte nur beunruhigen würden, also schilderte er ihr statt dessen die Sitten und Gebräuche seines Volkes, und besonders erwähnte er die Bedeutung der Göttin und das Leben im Tempel. Seine Stimme klang sehr beruhigend. Er nahm seinen Speer in die Hand und stieß die Holzspitze ins Feuer, um sie zu härten.
    »Alle Priesterinnen sind
Lants.«
Fein; er bemerkte, daß ihr Interesse geweckt zu sein schien.
»Lants
sind heilige Frauen«, erklärte er und fuhr mit dem Daumen über den Speer. »Sie sind der Göttin geweiht. Zu Beginn jeden neuen Jahres gehen alle Männer der Stadt zu den
Lants
und den anderen Frauen des Tempels, um den Heiligen Akt zu vollziehen.« Inanna starrte ihn an, und bevor er noch wußte, wie ihm geschah, war sie schon aufgesprungen und schrie ihn an.
    »Ihr liegt diesen Frauen, diesen
Lants
bei?« fauchte sie. »Ihr treibt es mit ihnen im Tempel?«
    Was war bloß in sie gefahren, natürlich schliefen die Männer im Tempel mit den Frauen, er eingeschlossen. »Wir ehren damit die Göttin Lanla, die alles Leben gibt«, erklärte Enkimdu und fragte sich im stillen, ob Inanna noch ganz bei Sinnen war.
    Sie sprang auf ihn zu, riß ihm den Speer aus der Hand und fuchtelte ihm mit der Spitze vor dem Gesicht herum. »Wenn ich dich jemals dabei ertappen sollte, wie du mit einer anderen Frau schläfst«, zischte sie, »bringe ich dich um. Hast du mich verstanden?«
    Die Kälte mußte ihr den Verstand eingefroren haben, daran konnte jetzt kein Zweifel mehr bestehen. »Aber so ist es bei uns Brauch.«
    Sie kehrte ihm den Rücken zu und warf den Speer nach draußen. Dann hockte sie sich hin und schüttelte sich, als hätte sie Fieber. »Und ist es auch Brauch, daß dein Vater nicht nur mit deiner Mutter, sondern auch noch mit anderen Frauen schläft?«
    Was faselte sie denn da? »Mein Vater?«
    »Dein Vater, ganz recht, dein Vater. Ich frage dich nach deinem Vater. Schläft er auch mit diesen... diesen
Lants?«
    Sie spuckte das Wort mit solcher Gehässigkeit aus, daß er unwillkürlich einen Schritt zurückfuhr. »Aber ich habe doch keine Ahnung, wer mein Vater ist.« Das war doch so sonnenklar, daß jedes Kind es verstehen konnte. »Mein Volk führt seine Abstammung auf Mütter und Großmütter zurück. Ich entstamme einer alten Linie von Königinnen und Priesterinnen. Und was meinen Vater angeht, wer sollte wissen, wer das gewesen ist? Ich nehme an, es war jemand, den meine Mutter im Tempel traf, als sie dorthin kam, um Lanla zu ehren. Nun, ich habe meine Mutter nie nach meinem Vater gefragt, es wäre mir auch nie in den Sinn gekommen. Wahrscheinlich weiß sie es nicht einmal.«
    »Hatte deine Mutter denn viele Liebhaber?« Der Ärger in ihr schien zu vergehen. Sie wanderte ziellos durch die Hütte und berührte immer wieder mit der Handfläche die nassen Wände. Enkimdu wollte zu ihr

Weitere Kostenlose Bücher