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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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zischte sie. »Laßt mich endlich in Ruhe, ihr alle. Ihr habt gewonnen, ist das klar? Ihr habt gewonnen.« Pulal sah sie kalt an, trank seine Milch und schüttelte den Kopf.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du da redest. Niemand ist dir nachgelaufen.«
    Aber nach diesem Gespräch durfte Inanna zumindest unbewacht durch das Lager laufen, auch wenn man ihr noch nicht gestattete, allein das Zeltrund zu verlassen.
     
    »Weib des Hursag, mein Kind ist krank und will die Brust nicht nehmen.«
    »Frau des Hursag, meiner alten Mutter schmerzen alle Glieder.« »Hursag-Frau, hast du nicht ein Mittelchen, das einen alten Mann befähigen könnte, wieder...« Verlegenheit, dann leise flüsternd weiter: »das einen alten Mann dazu befähigen könnte, wieder ein Mann zu sein?«
    »Mein Mann hat Fieber, und ich fürchte, er überlebt es nicht. Ich bitte dich, Weib des Hursag, komm schnell in unser Zelt.«
    »Mein Hals tut weh.«
    »Mein Arm ...«
    »Mein Kind ...«
    Wenn sie sich noch lange ihrem Kummer hingab, würde sie daran zugrunde gehen, also nahm sich Inanna am dritten Tag des Neumonds ihre Kräutertasche und lief durch das Lager, um Kranke zu heilen. Getrocknete Blumen und Borkenstücke; sie erinnerte sich an den Tag in der Hütte, an dem sie die Pflanzen sortiert und dabei Enkimdu erklärt hatte, welche Krankheit damit jeweils zu heilen sei. Der Gedanke an Enkimdu war wie der Stich eines Messers in ihrer Seite, war ein Schmerz, der nicht auszuhalten war. Sie bat ihn still um Vergebung und verdrängte ihn für einige wenige Stunden aus ihrem Bewußtsein. Sie wollte jetzt nur noch an die Heilpflanzen denken: Wegerich, Wildlattich, Esche und Schwarzwurz. Diese kannte sie wie alle anderen Frauen im Stamm auch. Aber sie hatte noch andere in ihrer Tasche, deren Wirkung ihr noch unbekannt waren: eine Blume wie eine Motte geformt, mit silbernen Punkten auf den Blättern und einer Wurzel von der Färbung einer Schlange. Nun schien es eine günstige Gelegenheit zu sein herauszufinden, ob sich damit etwas anfangen ließ. Sie mußte sich nur beschäftigt halten. Eine handvoll Moos, das wie nasses Erdreich roch, ein halbes Dutzend weißer Beeren, die selbst ein Verhungernder nicht in den Mund nehmen würde, einige getrocknete Samen, von denen Enshagag beharrlich behauptete, es handele sich dabei um reines Gift. Sollten diese Pflanzen zu irgend etwas nutze sein, oder hatte sie da nur einen Haufen Abfall mit sich in der Tasche herumgeschleppt?
    Im ersten Zelt, das Inanna betrat, saß eine alte Frau eingewickelt in einer sauberen Wolldecke am Feuer. Ihre Hände und Füße waren so geschwollen, daß die Finger und die Zehen fast nicht mehr zu erkennen waren. Und ihr Gesicht war aufgedunsen wie ein gefüllter Wassersack. Inanna nahm eine handvoll Wacholderbeeren aus der Tasche und zeigte sie der alten Frau.
    »Großmutter Bismaya«, sagte sie, »ich glaube, die hier können dir helfen.«
    Die Greisin lächelte und schüttelte den Kopf. »Neti hat die Tore der Unterwelt bereits weit für mich aufgetan.« Sie hob eine ihrer überdimensionierten Hände und betrachtete sie ruhig. »Weißt du noch, wie flink ich in jüngeren Jahren die Ziegen melken konnte?
    Ich war die schnellste Melkerin im ganzen Lager.« Ihre Stimme erstarb, und die fette Hand fiel auf den Schoß zurück. »Nun kann mir nichts mehr helfen.«
    Inanna fragte sich, ob sie, sobald ihre Zeit zum Sterben gekommen war, das ebenso resigniert und demütig hinnehmen können würde wie Bismaya. Nein, sie würde kratzend und beißend wie ein Wolf untergehen – dafür kannte sie sich selbst zu gut –, würde der Tod sich jeden Fußbreit Boden von ihr erkämpfen müssen. Die alte Frau sah Inanna gleichmütig an. Ihre kleinen Augen waren nahezu unter der Schwellung der Wangen verborgen.
    »Ich kann dir nichts versprechen, aber ich möchte dir gern helfen.« Sie goß etwas heißes Wasser auf, zerquetschte einige Wacholderbeeren und kippte sie in die Brühe.
    »Schmeckt der Tee bitter?« wollte die Greisin wissen. »Ich habe genug von dem bitteren Zeugs.«
    »Ich werde ihn mit Honig süßen.«
    Bismaya lächelte. »Es ist schön, wenn eine Junge wie du soviel Interesse an einer Alten wie mir aufbringt.« Sie trank den Tee, wischte sich über den Mund und klopfte Inanna mit wurstförmigen Fingern aufs Knie. »Sag Hursag, daß seine Gattin ihm alle Ehre macht.«
    Inanna nahm für einen Moment die Hand der alten Frau in die ihre. Sie wollte etwas sagen, konnte sich jedoch später nicht mehr

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