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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Nahrung ... Sie konnte es nicht ausmachen. Sie gurrten und beschimpften sich wie kleine Kinder, die sich um einen Honigkuchen zanken. Mit weitem Flügelschlag erhoben sie sich endlich in die Lüfte, raschelten durch die Blätter und waren bald im Hitzetuch des Himmels verschwunden. Inanna beäugte die Stelle, die die beiden Vögel gerade verlassen hatten, hoch oben in der Gabelung eines Baums. Ihr fiel auf, daß die Äste darunter so zusammengewachsen waren, daß sie eine Plattform bildeten. Und die war breit genug, um sich darauf hinzulegen. Die perfekte Lösung. Wenn die Tauben nicht gewesen wären, wäre sie wohl nie darauf gekommen.
    Inanna schob ihr Bündel den Baum hinauf, kletterte hinterher und breitete sich aus. Ein luftiges, angenehmes Lager, und hier oben würde sie so leicht niemand entdecken. Überall um sie herum schaukelten die silbergrünen Olivenblätter in der Brise, und sanft tanzten die Zweige mit. Inanna legte sich eine Hand auf den Bauch und spürte, wie das Kind in ihr sich bewegte. Sie schloß die Augen und schlief sofort ein.
    »Ich denke, wir sollten sie von hier fortschaffen.«
    »Aber sie hat uns doch gesagt, wir sollten sie nicht berühren. Sie hat es uns sogar
befohlen.
Ganz gleich, was geschehen sollte, hat sie gesagt, erinnerst du dich nicht?«
    »Aber sieh doch nur, wie sie leidet. Wir können doch nicht hier herumstehen und zusehen, wie sie stirbt.«
    »Falls sie stirbt, zerbreche ich meinen Speer und rasiere mir das Haupt, so als wäre sie meine eigene Mutter. Aber ich werde ihrer Anordnung nicht zuwiderhandeln. Befehl ist Befehl.«
    »Du hast ja recht, aber wenn ich sie so sehe, weicht alles Singen aus meinem Herzen.«
    »Aus meinem auch.«
    »Betest du für sie?«
    »Ja.«
    »Ich auch.«
    Inanna erwachte vom leisen Flüstern, das direkt unter ihr ertönte. Worte wie Musik, die wie das zärtliche Gurren von Tauben durch die Blätter zu ihr drangen. Worte aus der Sprache, die Enkimdu ihr beigebracht hatte, die Sprache der Stadtmenschen. Inanna lag ganz still da, hielt den Atem an und bemühte sich, einen Sinn in den halbwegs vertrauten Klängen zu erkennen.
    »Lyra ...«
    »Ja, Seb, was ist?«
    »Ich wünschte, sie hätte irgendwelche andere statt uns dazu bestimmt, mit ihr hierher zu kommen.«
    »Aber uns beide liebt sie am allermeisten.«
    »Seit er gestorben ist, hat sie niemanden mehr geliebt.« Stückchen für Stückchen arbeitete sich Inanna auf dem Ast vor, teilte vorsichtig den Olivenblätter-Vorhang und sah unten am Stamm zwei Soldaten: Ein Mann von etwa dreißig Jahren, der wohl Seb war, und Lyra, eine Frau. Eine Frau als Soldat? Aber das war eindeutig eine Frau, schwarz wie Obsidian und in voller Rüstung. Sie stand so nahe, daß Inanna nur die Hand auszustrecken brauchte, um den roten Federbusch auf ihrem Helm zu berühren. Eine zweischneidige Axt baumelte am Gürtel der dunkelhäutigen
    Frau, und auf ihren Schultern und Armen malten sich im trüben Licht rosafarbene Narben von alten Wunden ab.
    »Du kennst ihr Herz nicht, wenn du das glaubst«, sagte Lyra gerade. Sie hob den Speer und zeigte auf etwas, das Inanna nicht sehen konnte. »Selbst jetzt noch liebt sie uns wie ihre eigenen Kinder.« Inanna teilte die Blätter so vorsichtig weiter, als wollte sie einen Vogel aus einer Schlinge holen. Nicht das leiseste Geräusch, nicht einmal ein Blätterrascheln. Nun erkannte sie auch eine dritte Person in der Senke, eine alte Frau auf einer Pritsche. Mattes graues Haar, das Gesicht schweißbedeckt und die Finger, die sich in den Saum der Decke auf ihrem Körper verkrallt hatten. Die Frau stöhnte, drehte sich ruhelos und riß sich die Decke vom Leib. Sie trug ein zerschlissenes braunes Frauenhemd. Ihre Füße waren nackt und so arg geschwollen, daß sie wie Kissen aussahen.
    Seb trat rasch zu der Frau, zog ihr die Decke wieder über den Körper und kehrte zu Lyra zurück. Als er unter dem Baum war, schaute er kurz hinauf zu Inanna, entdeckte sie jedoch nicht. Seine Augen waren voller Tränen. Der Anblick seines Gesichts traf Inanna mit der Wucht einer Lawine, wie ein Felssturz und hätte sie beinahe vom Ast gerissen. Inanna biß sich in die Wange, um nicht laut aufzuschreien. Den Mann hatte sie natürlich nie zuvor gesehen, aber seine Züge waren ihr so vertraut wie ihre eigenen: die hohen Wangenknochen, die Hakennase, das dicke schwarze Haar und die blauen Augen. Sie hatte dieses Gesicht geliebt, war neben ihm wach geworden, hatte es im Tod gehalten. Es war das Gesicht von

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