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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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lieber dort liegen lassen. Aber da trat eine alte Frau vor, hob ihn auf und brachte ihn zur Königin. Der erklärte sie, eines Tages würde aus dem Osten eine neue Königin kommen und die würde eine große Heerführerin mit magischen Fähigkeiten sein. Das Sonderbare an ihr sei aber, daß diese Kriegskönigin nicht wüßte, wie sie mit ihren Fähigkeiten umzugehen habe. Also ließ die alte Frau – die Menschen erzählten sich später, es sei Lanla in Verkleidung gewesen – der zukünftigen Kriegskönigin eine Botschaft zurück. Keine sehr eindeutige und erhellende Botschaft, das kannst du mir glauben, aber immerhin.
Sie soll den Wandelstein festhalten,
erklärte die Alte, als sie der Königin den Keil überreichte.
Sie soll nichts tun und an nichts denken, sondern nur warten, bis ihre Macht kommt.«
    Die Königin schnaufte und wickelte sich fester in die Decke. »Nun, das war die Geschichte. So hat meine Großmutter sie meiner Mutter erzählt, so habe ich sie von meiner Mutter gehört, und so habe ich sie dir weitergegeben. Jede
Joyta,
so lange sich jemand erinnern kann, mußte sich diese Geschichte anhören. Aber wenn du mich direkt fragst, ich halte sie für Unsinn. Soweit ich weiß, hat dieser Wandelstein niemals jemanden oder etwas gewandelt. Doch eine ganze Dynastie von Königinnen hat sich schmutzige Fingernägel und schmerzende Rücken dabei geholt, ihn im Horst zu verbergen. Denn weißt du, neben der Botschaft begleitet auch noch ein Fluch diesen Keil. Sobald der Wandelstein verlorengeht, ist auch die Stadt verloren.«
    Aber Inanna hörte ihr gar nicht mehr zu. In Ihren Gedanken sah sie den Eunuchen, die unterirdischen Höhlen und den Korb voller Schlangen. Tu
nichts,
und
du wirst Königin.
Rheti mußte um die alte Prophezeiung wissen. Und Alnas Opferung hatte sie wohl dazu erfunden, um Inanna Angst einzujagen. Also war das gar keine großartige Vision der Zukunft gewesen, sondern lediglich eine ganz gewöhnliche Drohung.
    Aber das allein bedeutete ja noch nicht, daß die alte Prophezeiung falsch sein mußte. Vielleicht war sie ja die Kriegskönigin, die die alte Frau vor so langer Zeit vorausgesagt hatte. Aufregung breitete sich in Inanna aus, verging wieder und hinterließ nur Verwirrung. Wenn das Schicksal schon solche Größe für sie vorgesehen hatte, hätte es doch schon längst einige Anzeichen dafür geben können. Und der Wandelstein, verlieh er ihr wirklich Kontrolle über ihre Fähigkeiten? Oder hatte die Königin recht, handelte es sich dabei wirklich nur um einen wert- und bedeutungslosen Stein?
    »Was ist mit Euch?« Inanna entdeckte, daß die Königin sie anstarrte. Die alte Frau seufzte, lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Ich überreiche dir ein ganzes Königreich und einen wunderschönen Garten, und alles was du machst, ist eine Miene ziehen, als hättest du in einen Gallapfel gebissen.« Eine leichte Brise kam auf, und die Blumen schwankten und tanzten im Wind. Rosenblätter fielen ins Wasser und trieben auf der Oberfläche. Staub, Schatten und der Duft von Jasmin. Eine weiße Wand und dahinter
    die Berge.
    °Nimm den Stein und benutze ihn, wenn er dir weiterhilft. Wenn nicht, bringst du ihn wieder hier hinauf und vergräbst ihn.« Die Königin betrachtete gedankenverloren die Blumen, so als erinnere sie sich an jede einzelne Blüte. »Führ mich nun die Stufen hinunter. Ich denke, ich habe endgültig genug von Gärten.«
     
    Tu nichts. Denk an nichts. Warte. Es hörte sich einfach an, funktionierte aber leider nicht. Inanna mußte immer wieder feststellen, daß sie an alles Mögliche dachte: an die Bittsteller und ihr Anliegen, an Alnas neuen Zahn, an das, was es zum Frühstück gegeben hatte, und an den Umstand, daß sie an nichts denk, sollte. Einen Monat lang besuchte sie den Garten täglich, ab selbst dort gelang es ihr nie, an nichts zu denken. Ihr Bewußtsein entwand sich wie ein Wollknäuel und führte sie mal hierhin u mal dorthin, aber niemals zu völligem Schweigen.
    Vielleicht war es einem Vogel möglich, einen leeren Kopf zu haben, oder einer Hyäne, oder einem Löwen ... aber nicht eine Menschen. Die Beine taten ihr vom nutzlosen Herumsitzen weh und ihr kam es so vor, als würde ein großer Trupp Ameisen ihr Rückgrat hinaufmarschieren. In ihrer Handfläche war der Wandelstein bereits schweißverklebt.
    Inanna fühlte sich schlecht. Ihr kam es so vor, als sei sie auf einen üblen Scherz hereingefallen. Ein Scherz, der seit Generationen mit Anwärterinnen auf

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