Kornmond und Dattelwein
Fruchtschalen und das letzte Wasser der Frühlingsregen mit sich fort.
Die Zeit verstrich, aber Inanna nahm davon kaum Notiz. Mitten im Sommer, am ersten Tag des Gerstenmondes nahm Lyra sie nach dem Exerzieren beiseite und bot ihr einen Platz im Schatten an. Der Himmel war wie ein Kupferkessel, und der Staub lag bereits drei Finger dick auf dem Kasernenhof. »Du entwickelst dich sowohl zu einer Kriegerin wie zu einer Königin«, sagte Lyra, »aber du rackerst dich zu sehr ab.«
Ich bin weder bei dem einen noch bei dem anderen ausreichend gut, dachte Inanna. Sie sah auf Lyra, auf die Unterkünfte, auf den Brunnen und auf die Soldaten, die sich im Speerwurf übten. Irgend etwas fehlte noch, etwas, das sie nicht erklären konnte. Aber sie hatte das Gefühl, daß sich eine große Schlacht wie eine Donnerwolke näherte.
Im Spätsommer, als der Fluß nur noch ein niedriges, träges Etwas war und die Eidechsen über die Mauern und Wände krabbelten, war die Hitze in der Luft zum Schneiden dick. Nachmittags schlief die ganze Stadt, und nur in der Nacht war es kühl genug zur Beschäftigung oder Arbeit. Inanna saß in einer großen Steinwanne und spielte mit Alna. Das Kind lachte und planschte im Wasser. Der nackte Körper glitt kalt und glatt wie ein Fisch der Mutter immer wieder aus den Händen. Sobald Alna etwas größer war, würde sie mit ihr zum Fluß gehen und ihr das Schwimmen beibringen. Das Kind warf ihr die Arme um den Hals und küßte sie auf die Wange. Dann wandte sich Alna wieder dem Spielzeugboot zu, das zum anderen Ende der Wanne trieb. Ein rundes Boot von der Form einer Tasse.
»Die Königin wünscht, in ihren Gemächern die
Joyta
zu empfangen.«
»Was?«
Die Bedienstete stand an der Tür und verbeugte sich unbehaglich. »Es tut mir leid, Euch beim Bad stören zu müssen, aber die Königin hat erklärt, Ihr solltet auf der Stelle zu ihr kommen.«
Alna lachte, griff nach dem Boot und versenkte es. »Was will die Königin denn von mir?«
»Das hat sie nicht gesagt,
Muna.«
Inanna gab Alna einen Kuß, hob sie aus der Wanne und reichte sie den beiden Kinderschwestern. Dann zog sie sich rasch an, glitt in ein Paar neuer Sandalen und eilte zu den Gemächern der Königin. Während sie Stufe um Stufe der vielen Treppen hinter sich brachte, wurde es beständig heißer. Bald war die Luft schal, und stand still; wie ein Tümpel, der irgendwo übriggeblieben war, nachdem der Fluß in sein Bett zurückgefunden hatte. Warum hatte die Königin nach ihr geschickt? Hatte sie entdeckt, daß ihre
Joyta
regelmäßig den Exerzierplatz aufsuchte? War sie vielleicht wütend darüber, daß Inanna schon zu ihren Lebzeiten den Thron bestiegen hatte? Aber wenn dem so wäre, warum hatte sie dann so lange damit gewartet, sie zu sich zu zitieren?
Die Gedanken schossen Inanna wie Windstöße aus allen Himmelsrichtungen durch den Kopf und wirbelten wie trockenes Laub im Herbst durcheinander. Wie viele Monate war es schon her, seit die Königin zum letztenmal jemanden empfangen hatte? Inanna fing an nachzurechnen, gab es aufgrund der unerträglichen Hitze jedoch bald wieder auf.
Vor dem Eingang zu den königlichen Gemächern standen Wächter in voller Montur. Sie waren mit Schweiß bedeckt. Die Fliesen fühlten sich unter Inannas Sandalen sehr heiß an. Ein sonderbarer Geruch lag in der Luft, dick und süß wie Granatapfelsaft. Die Königin saß auf einer mit vielen Kissen ausgelegten Steinbank und hatte sich in schwere Wolldecken gehüllt. Ihre geschwollenen Füße ruhten an einer Tonkiste voller glühender Kohlen. Atemberaubende Hitze, Bedienstete, die nur noch ihr Unterzeug trugen, überall tropfnasse und stark gerötete Gesichter. Vor den Fenstern hingen schwere Gardinen, die alles Licht draußen ließen und jegliche Luftbewegung verhinderten. Wie hielt die Königin das nur aus? Ihr Gesicht hatte eine ungesund blasse Farbe, ihre Beine waren wie Wasserblasen angeschwollen, und die Augen wirkten verfärbt wie Pflaumen. Kein Feuer und kein Leben war mehr in ihrem Blick.
»Nun, was siehst du hier?« fragte die Königin.
»Nichts«, log Inanna.
»Unsinn. Jeder Tropf kann erkennen, daß ich sterbe.« Ihre Stimme besaß noch die alte Kraft und Dominanz, und wenn die Königin lächelte, war sie für einige Momente wieder die alte. »Na gut, dann setz dich, setz dich zu mir. Steh da nicht so herum und starr mich an.«
Inanna nahm auf der Bank Platz. Die Körbe voller Ton und die Modellierwerkzeuge waren nirgends zu sehen. Die
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