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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Ohne Beplankung sah es aus wie ein verwesender Wal, den die See an Land gespült hatte.
    Die Kriegerin auf dem Achterdeck steuerte ihr Schiff gekonnt durch das Gewirr aus Masten, Rudern und Auslegern. Mehr als einmal dachte Amy, sie würden an einem der anderen Schiffe zerschellen, doch die Frau war eine begnadete Navigatorin. Ohne eine einzige Berührung lenkte sie ihr Schiff auf eine der Anlegestellen zu, brachte es längsseits und bremste dann ab. Eine Handvoll braungebrannter Männer lief zum Schiff, packte die Taue und eilte mit ihnen zu den Pollern. Es gab eine leichte Erschütterung, dann war das Schiff vertäut.
    »Willkommen in Kitara, der Stadt Ihrer Träume«, sagte Dan mit düsterer Miene. »Bitte beachten Sie die Warnhinweise und bleiben Sie angeschnallt, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben.«
    Amy musste lächeln. Dan hatte seinen Humor wiedergefunden – ein gutes Zeichen. Sie war froh, dass sie nicht allein war. Zu ihrer Schande musste sie gestehen, dass sie während der letzten Stunden kaum an ihre Freunde gedacht hatte. Die Ereignisse waren mit einer Heftigkeit über sie hereingebrandet, dass sie kaum Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Wie es wohl Karl gerade ging? Und Mellie und Ray? Sie konnte nur beten, dass sie noch am Leben waren.
    Die Kriegerin winkte einen Boten heran und wechselte einige Worte mit ihm. Der kleine Mann nickte, dann rannte er davon.
    »Was jetzt wohl geschieht?«, fragte Dan. »Meinst du, wir müssen die örtlichen Einreiseformalitäten über uns ergehen lassen?«
    »Überprüfung der Impfbescheinigung und der Reisepässe?« Amy war nicht zum Lachen zumute. »Wohl kaum. Aber wie es scheint, sind sie auf Leute wie uns vorbereitet. Sieh nur, die hohen Zäune und Wachen. So etwas gibt es nur hier bei uns. Alle anderen Anlegestellen sind frei zugänglich.«
    »Stimmt, du hast recht. Was mag das bedeuten?«
    »Dass wir Gefangene sind, was sonst? Der einzige Ein- und Ausgang ist dieses Tor dort drüben und das wird gut bewacht.«
    »Sieh mal, wie die Leute uns anstarren«, sagte Dan. »Als wären wir vom Mond.«
    Amy nickte. »Vergiss nicht, wir haben helle Haut.«
    Sie streckte sich, dann sagte sie: »Komm, wir sehen uns ein bisschen um. Jetzt, wo wir schon mal da sind, können wir genauso gut an Land gehen.« Die Jäger schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit, als sie die Planke betraten. Gemeinsam gingen Amy und Dan von Bord und betraten die Anlegestelle.
    Der Gestank war überwältigend. Es roch wie auf dem Wochenmarkt von Kampala. Eine abenteuerliche Mischung aus Gewürzen, geröstetem Fleisch und verbranntem Fett. Amy konnte nicht umhin festzustellen, dass sie Hunger hatte. Es war lange her, dass sie etwas Richtiges gegessen hatte. Beim Duft des gebratenen Fleisches lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
    Hinter dem Zaun hatte sich eine Traube von Leuten gebildet. Die meisten von ihnen waren bettelarm. Abgemagert, schmutzig, die Haare zu fettigen Strähnen verklebt, standen sie da und starrten mit großen Augen zu ihnen herüber. Einige trugen Kiepen auf dem Rücken, andere wiederum schienen einfache Arbeiter zu sein: Handwerker, Straßenfeger, Müllmänner. Der überwiegende Teil waren Händler von benachbarten Ständen. Viele trugen rituelle Narben oder Bemalungen im Gesicht, manche sogar einfachen Schmuck wie Ohrringe oder Halsbänder. Alle besaßen eine tiefschwarze Haut und einen schlanken, hochgewachsenen Körper.
    Als Amy und Dan auf die Abzäunung zuschritten, ging ein Raunen durch die Menge. Die Menschen wichen zurück, einige ließen sich auf die Knie fallen und senkten die Häupter.
    »Was soll das denn?«, fragte der Geologe. »Sieht fast so aus, als hielten sie uns für Halbgötter.«
    »Nicht uns«, sagte Amy.
»Dich.
Ist dir nicht aufgefallen, dass alle ihre Augen nur auf dich richten? Ich frage mich, was das zu bedeuten hat.«
    »Vielleicht ist mir mein Ruf vorausgeeilt. Oder liegt es daran, dass ich ein Mann bin?«
    »Das würde mich wundern«, sagte Amy. »Die Einzigen, die hier halbwegs wohlhabend aussehen, sind die Frauen. Sie sind gut genährt, tragen Schmuck und wertvolle Gewänder. Die Männer gehören allesamt einer niedrigeren Kaste an. Außerdem sind sie alle verstümmelt, sieh nur.«
    »Wie bei den Bugonde«, flüsterte Dan.
    Auf einmal entstand Unruhe. Etwa fünfzig Meter entfernt ertönten Rufe, gefolgt vom Klatschen einer Peitsche. Eine offene Sänfte tauchte inmitten des Gewimmels auf. Getragen wurde sie von acht Männern, die

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