Korona
lächelte gequält. Mit nervösen Fingern öffnete sie die Tasche und schlug die Klappe zurück. Im Inneren waren etliche Notizblöcke, Karten und Kugelschreiber, dazu ein Fernglas und ein kalbsledernes Etui mit kostbarem Verschluss. Amy nahm es heraus und klappte es auf. Wills dunkelroter Reisepass leuchtete ihr entgegen. Sie machte ihn auf betrachtete das Foto. Es zeigte einen rotblonden Mann Mitte dreißig. Sein Mund zeigte ein arrogantes Lächeln und er hatte seine Stirn in Falten gelegt. Die Brille, die allen nur zu vertraut war, thronte auf seiner Nasenspitze. »Damit dürfte das Rätsel ja wohl gelöst sein«, murmelte Dan. »Wissen Sie, wo dieser Mann ist?« Er tippte auf das Passbild. »Ist er noch am Leben? Geht es ihm gut und können wir zu ihm?«
Die Kaiserin verzog ihren Mund zu einem kalten Lächeln.
»Na’kl’dungu?«
»Sie fragt, ob Sie ihn sehen wollen?«, übersetzte Oyo.
»Natürlich wollen wir! Wo ist er?«
Oyo senkte seine Stimme. »Er befindet sich in den
Stummen Hallen
von Kitara.«
»Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen«, sagte Dan. »Du auch?« Amy zögerte. Sie wollte sich keinen vorzeitigen Illusionen hingeben. Irgendetwas an der Art, wie Oyo über Burke sprach, irritierte sie.
»Diese
Stummen Hallen,
wo sind sie?«
Oyo deutete nach unten. »Tief unter unseren Füßen. Wir werden ein Schiff nehmen. Aber keine Sorge. Es ist nur ein kurzer Flug. Es wird Ihnen gefallen.« Wieder erschien dieses wulstige Grinsen.
Auf Dans Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab. Er schien Amys Sorgen nicht zu teilen. »Na, was sagst du?«, rief er erfreut. »Bald werden wir ihn wiedersehen. Unsere Reise war also doch ein Erfolg. Was er wohl sagen wird, wenn er seine beiden besten Freunde wiedersieht?«
»Freunde?« Oyos Ausdruck veränderte sich. »Ich will Ihnen Ihre Hoffnungen nicht nehmen, aber dieser Mann hat keine Freunde. Schon lange nicht mehr.«
63
K ’baa hatte ein kleines, wendiges Zweimannboot für ihre Reise vorbereitet. Es verfügte über ein trapezförmiges Lateinersegel, zwei mit Stoff bespannte Ausleger und ein langes, geschwungenes Heckruder. Farbige Piktogramme in Form von Schlangen und Dämonen verzierten die Segel und den Bootskörper und verliehen ihm das Aussehen eines kleinen Drachen. Das Schiff zog und zerrte an der Leine, als wäre es ein junges Pferd. Es schien gar nicht erwarten zu können, endlich wieder auf dem Wind zu reiten. Ray runzelte die Stirn. Das konnte unmöglich ein Schiff der G’ombe sein. Er befragte K’baa und erfuhr, dass es den Kitarern gehörte und bei einem Feldzug erbeutet worden war. Der Affe erklärte ihm, dieses Schiff sei das einzige, das sich für ihr Versteckspiel eignen würde. Nur so würden sie nah genug an die Stadt herankommen, um den äußeren Verteidigungsring zu durchbrechen. Was allerdings geschehen würde, wenn eine Patrouille sie anhielt, das wusste selbst er nicht. Vermutlich würden sie improvisieren müssen. Ray hielt es für ratsam, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen.
Schweigend beluden sie den Segler mit Proviant, Kleidung und Waffen. Sie verstauten alles im Bootsrumpf und sicherten die Ladung mit Seilen. Sie prüften ein letztes Mal Knoten und Takelage und überprüften ihren Proviant.
Dann war es so weit.
Ray löste das Haltetau und stieß das Schiff mit einem langen Holzstab vom Landungssteg ab. Langsam schaukelte das Gefährt in den Wind hinaus. Niemand war gekommen, um sie zu verabschieden, keine Freunde und keine Familienangehörigen. Selbst K’baas Gefährtin, sowie seine beiden Kinder waren in der Wohnhöhle geblieben. Alle wussten, dass dies ein Himmelfahrtskommando war und sie wollten die beiden Abenteurer nicht mit ihren Gefühlen belasten. Für Ray und K’baa war klar, dass sie nicht mehr zurückkonnten. Entweder das Unternehmen wurde ein Erfolg oder sie würden bei dem Versuch, ihre Freunde zu retten, sterben.
Die G’ombe waren ein stolzes Volk. Tausend Jahre Krieg und Unterdrückung hatten sie zu dem gemacht, was sie heute waren: eine unbeugsame Gemeinschaft, die alle Schicksalsschläge tapfer ertrug und sich von niemandem seinen Willen aufzwingen ließ. Ray gefiel das. Er entdeckte viel von sich selbst in K’baa. Es erfüllte ihn mit Freude, dass der Primat ihm vertraute und seine Nähe schätzte. In der kurzen Zeit waren sie tatsächlich zu so etwas wie Freunden geworden.
Das Schiff verließ den Schatten der Felseninsel und trieb hinaus in den offenen Raum. Eine heftige Bö von achtern
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