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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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geschehe. Wie im Himmel, so auf Erden.« Die Worte sprudelten wie von selbst über ihre Lippen.
    Immer weiter rutschte sie auf ihrem Hosenboden zurück, bis sie plötzlich einen Widerstand im Rücken spürte. Sie war an der Steintür angelangt. Ihre Finger krallten in den Spalt, wollten ihn erweitern und ihn aufstemmen, doch die Tür wich keinen Millimeter.
    Der N’ekru war immer noch mit seinem Opfer beschäftigt. Das Algengeflecht wurde von Kontraktionen durchlaufen, die denen eines Schmetterlings während der Metamorphose glichen. Die Geräusche, die dabei entstanden, waren ekelerregend. Amy presste die Hände auf die Ohren, so dass sie nur noch ihr eigenes Schluchzen hörte.
    Dann ließ das Wesen von Daniel Skotak ab. Es öffnete seine Membran, faltete seine Arme auseinander und ließ das, was von dem Geologen übrig war, zu Boden gleiten. Der N’ekru nahm die Haut und schleuderte sie wie einen nassen Lappen in die Dunkelheit.
    Dann kroch er auf Amy zu.
    Der durchdringende Geruch frischen Blutes stieg ihr in die Nase. Sie spürte einen Würgreiz. Diesmal war sie an der Reihe.
    Sonnenstrahlen drangen durch die Lichtschächte und fielen auf die widernatürliche Kreatur. Seine Oberfläche triefte vor Blut.
    Amy tat das Einzige, was ihr noch zu tun blieb: Sie schloss die Augen. In ihren Gedanken und Gefühlen sperrte sie die Welt aus, so wie sie es als Kind oft getan hatte, wenn sie sich vor etwas fürchtete. Sie wollte nicht mitbekommen, wie die Kreatur auf sie zukam, wie sie ihre Arme ausbreitete und sie damit umschlang. Sie wusste, dass der Anblick ihren Verstand zerbrechen würde.
    Als sie die feinen Wurzelfäden auf ihrer Haut spürte, war es, als hätte der leibhaftige Tod Hand an sie gelegt.
    Der Namenlose hatte seinen ersten Appetit gestillt. Das Blut seines Freundes überzog ihn, es durchdrang ihn, erregte ihn. Mit Dan war ein weiterer Teil seiner Erinnerungen gegangen. Schon in seinem früheren Leben hatte er Freundschaften nicht eben gepflegt, waren sie doch stets mit unliebsamen Verpflichtungen verbunden. Freundschaft war immer auch eine Frage von Geben und Nehmen und einem unvermeidlichen Aufrechnen von Gefühlen.
    Der Namenlose hasste Gefühle. Sie machten einen schwach und verletzbar. Das Einzige, was ihn jetzt noch verletzen konnte, waren Erinnerungen. Sie stahlen sich in seine Träume und gaukelten ihm vor, dass das, was er tat, falsch sei. Aber er wusste es besser. Skotak war ein Teil dieser Erinnerung gewesen, aber nun gab es ihn nicht mehr.
    Doch der andere Teil war immer noch existent.
    Die Frau hielt ihre Augen vor ihm verschlossen. Sprach sie ein Gebet? Er stieß ein keuchendes Lachen aus. Gebete würden ihr hier nichts nützen.
    Sie war jetzt in seiner Gewalt. So wie damals, als sie noch ein Liebespaar gewesen waren. Doch das hier war besser. Er streckte seine Flechtenhände nach ihr aus und wollte sie gerade umarmen, als er etwas Metallisches berührte. Ohrringe!
    Wie von einem elektrischen Schlag getroffen fuhr er zurück. Diese kleinen Figuren waren zum Leben erwacht. Vor seinem inneren Auge war ein Bild entstanden, das Bild eines Mannes. Bleich … breitschultrig … ein finsterer Blick. Zu allem entschlossen.
    Der Namenlose überwand seinen Abscheu und rückte näher heran. Mit gesenkter Stirn betrachtete er den merkwürdigen Schmuck. Zwei kleine Figuren – missgestaltet wie verdrehte Wurzeln. Formoren. Riesen in der irischen Mythologie, Nachfahren des Meeres und der Erde. Er kannte diese Figuren. Es hatte eine Künstlerin gegeben, in seinem Heimatort … sie hatte diese kleinen Wesen hergestellt und verkauft. Billige Souvenirs. Irgendein Tand für erholungswütige Touristen.
    Noch einmal berührte er die Figuren. Wieder erschien das Bild dieses Mannes. Die Augen, die ihn ansahen, loderten hasserfüllt.
    Der Namenlose legte seine knotigen Hände auf Amys Kopf und umspann ihn mit feinsten Härchen. Die mikroskopisch kleinen Wurzeln drangen in die Haut, passierten die Schädeldecke und legten sich auf die Nervenenden der Gehirnzellen. Es dauerte nicht lange, da hatte er den Kontakt hergestellt. Feinste elektrische Schwingungen stimulierten die Fäden. Chemische Botenstoffe reagierten mit den Enden seiner Photobionten und sandten Gedankenimpulse an das neuronale Netzwerk. Dort wurden sie in seinem zerebralen Kortex weiterverarbeitet. Bilder tauchten in loser Folge vor seinem inneren Auge auf. Bilder von der Ankunft dieses Mannes, von seiner Reise und seiner Herkunft. Dann trat ein

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