Korona
»Ich sage nur, es ist die plausibelste Erklärung.«
»Und wieso hat sie so tief in dem Spalt gesteckt? Wenn ich wollte, dass sie gefunden wird, hätte ich sie doch leichter zugänglich plaziert.«
»Sie könnte reingerutscht sein«, sagte Ray. »Vielleicht hat es einen Erdstoß gegeben. Viele der Gebäude hier sehen so aus, als wären sie durch Erdbeben zerstört worden.«
»Erdbeben.« Dan schnaubte verächtlich. »Das wird ja immer absurder. Der Ruwenzori ist nicht vulkanischen Ursprungs. Hier bebt nichts. Alles nichts als ein Haufen haltloser Spekulationen und Vermutungen.«
»Immer noch besser, als gar keine Hypothesen aufzustellen«, sagte Ray. »Vielleicht beehrst du uns ja mal mit deinen Ideen, statt immer nur deinen Frust raushängen zu lassen.«
Dan bohrte mit dem Finger im Ohr. »Hast du was gesagt? Ich verstehe dich so schlecht.«
»Arschloch.«
»Hört auf«, sagte Amy. »Streitereien bringen uns im Moment nicht weiter. Die Lage ist schon schwierig genug, auch ohne eure permanenten Streitereien. Wir werden das mit Wills Brille später klären. Was mich im Moment viel mehr beschäftigt, ist die Frage, was du hier draußen verloren hattest, Ray?«
»Das würde mich auch mal interessieren.« Dan verschränkte die Arme vor seiner Brust und blickte ihn anklagend an. Ray hätte ihm liebend gern eins in die Fresse gegeben, aber er musste jetzt sehr vorsichtig sein. Schuldbewusst senkte er den Kopf. »Ich … ich hatte Probleme mit dem Einschlafen. Ich habe wach gelegen und wusste nicht, was ich tun sollte. Also bin ich aufgestanden und habe mir die Steine angesehen, die wir gestern gefunden haben. Ich bin ihnen nachgegangen und na ja … so kam eins zum anderen.«
Amys Augen schimmerten wie die einer Katze. »Was genau interessiert dich eigentlich so an William Burke?«
Ray spürte, dass ihm die Situation zu entgleiten droht.
»Seine Arbeit, was sonst?« Er bemühte sich um einen saloppen Tonfall. »Seit ich sein Buch
Behavioral Genetics of Non-Human Primates
in die Finger bekommen habe, bin ich von dem Mann fasziniert. Ich wollte ihn unbedingt einmal persönlich kennenlernen.«
»Dürfte nicht ganz leicht gewesen sein, im Knast an das Werk heranzukommen«, sagte Dan. Ray hielt dem herausfordernden Blick des Geologen stand. Der Kerl schien es regelrecht darauf anzulegen, ein paar aufs Maul zu bekommen. »Ich kann sehr hartnäckig sein, wenn ich etwas will«, sagte er.
Amy schwieg für einen Moment, dann hob sie ihr Kinn. »Noch so ein Ding und du bist raus aus dem Team, habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Vollkommen.«
Sie atmete tief ein. »Na schön. Ich werde die Sache damit auf sich beruhen lassen, aber du kannst sicher sein, dass ich keine leeren Drohungen mache.« Damit wandte sie sich wieder dem Team zu. »Ich möchte, dass ihr die Pyramide untersucht. Seht zu, ob ihr noch mehr Beweise für Williams Anwesenheit findet. Vielleicht findet ihr ja etwas, das uns einen Hinweis auf ihn oder seine Leute gibt.«
Karl hob die Augenbrauen. »Und du?«
»Ich werde ins Lager zurückgehen und telefonieren.«
»Was, jetzt? Wen willst du denn anrufen?«
»Ich werde Richard von diesem Fund berichten und ihn bitten, ein paar zusätzliche Leute und Ausrüstung zu schicken. Kann sein, dass wir unseren Aufenthalt hier auf längere Zeit ausdehnen werden. Wir sehen uns später im Lager.«
Mit einem knappen Lächeln machte sie kehrt und verschwand im Wald.
Ray presste die Lippen zusammen. Warum diese Eile? Warum kam sie nicht mit zur Pyramide?
In ihm keimte der Verdacht, dass Richard nicht der Einzige war, den sie anrufen würde.
22
P rofessor Conrad Whitman war für seine fünfundsechzig Jahre immer noch sehr attraktiv. Seine Haut war sonnengebräunt, sein silbergraues, leicht gewelltes Haar ordentlich gescheitelt. Die handgefertigten Kalbslederschuhe und sein maßgeschneiderter Anzug saßen wie eine zweite Haut. Ihn umgab eine Aura von Macht, wie man sie nur bei Männern in seiner Position antraf. Jemand, der ihn nicht kannte, hätte leicht auf die Idee kommen können, einem Industrieboss oder Politiker gegenüberzustehen, und tatsächlich bedeutete nach Whitmans Verständnis die Leitung einer Naturschutzorganisation nichts anderes als die Führung eines Wirtschaftsunternehmens. Sie unterlag denselben Regeln und Gesetzmäßigkeiten wie die eines jeden anderen Betriebs. Folglich gab es auch hier so etwas wie eine Kleiderordnung.
Mit schnellen und exakt bemessenen Bewegungen sortierte er seine
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