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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Weiterkommen, und der Regen prasselte mit unverminderter Härte vom Himmel. Dicke Tropfen klatschten auf seine Haut. Sie waren eiskalt. Warum nur hatte er keine Mütze eingepackt? Entnervt blieb er stehen und ließ seine Lampe im Kreis herumfahren. Er musste einen Unterschlupf finden und abwarten, bis der gröbste Regen vorüber war. Dann würde er umkehren und seinen Weg von neuem beginnen.
    Das Licht streifte ein rundbogiges Gewölbeteil, das zwar zur Hälfte eingestürzt war, dessen andere Hälfte aber immer noch ausreichend Schutz vor dem Regen bot.
    Über eine hüfthohe Mauer kletternd, eilte er auf den Unterstand zu. Er hatte ihn gerade erreicht, als unweit seiner Position ein Blitz in die Krone eines Baumes einschlug. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ray legte die Hände auf die Ohren und lehnte sich an die Mauer.
    Da sah er es.
    Etwa zwanzig Meter entfernt war ein dunkler Umriss zu sehen. Irgendetwas an diesem Schemen ließ ihn innehalten. Er richtete seine Taschenlampe darauf und versuchte zu erkennen, was es war. Der Umriss war vage menschlich. Eine breite Schulterpartie, ein Paar lange Arme, ein vergleichsweise kleiner Kopf und zwei kurze, stämmige Beine. Was zum Geier war das?
    Ungeachtet des Regens verließ er seinen Unterstand und ging darauf zu. Die Oberfläche des Wesens bestand aus Strängen knotiger, gewundener Muskeln, die in der Erde verwurzelt zu sein schienen. Weit über zwei Meter groß und dicht bewachsen mit Moosen und Flechten, ragte die Gestalt über ihm auf. Für einen atemlosen Augenblick glaubte Ray, sie wäre lebendig, bis er den Riss bemerkte, der quer über den Schädel verlief.
    Es war eine Statue.
    Kleine Blüten rankten über die rauhe Oberfläche und nahmen der Erscheinung etwas von ihrem bedrohlichen Charakter. Verwundert blickte er zu dem hässlichen Gesicht empor. War das etwa eines von diesen Dingern, die Amy und Mellie in der Schamanenhütte entdeckt hatten? Wie hieß es doch gleich? Ach ja, N’ekru.
    Das Wasser strömte über den Stein und ließ ihn schimmern wie Obsidian. Wieder zuckte ein Blitz auf. Am Kopf der Statue blinkte etwas auf. Da steckte etwas im Spalt.
    Ray ging auf die Zehenspitzen und tastete in die Vertiefung. Seine Finger berührten dünnes Metall. Vorsichtig fischte er den Gegenstand heraus und richtete das Licht seiner Lampe darauf. Was er sah, ließ ihn den Regen vergessen. Binnen eines Wimpernschlages wusste er, womit er es zu tun hatte. Er änderte seine Pläne. Er würde nicht ausharren, bis der Sturm vorüber war, er würde gleich zurückgehen, auf der Stelle. Noch einmal sah er zu der Statue hoch, dann steckte er den Gegenstand ein und trat den Rückweg an.
     
    Amy schrak aus einem unruhigen Traum. Ein Blitz zuckte auf. Gleich darauf krachte der Donner über ihren Köpfen. Aus Mellies Zelt war ein leiser Schrei zu hören. Das Trommeln des Regens nahm zu.
    Amy schlüpfte in ihre Schuhe, öffnete den Reißverschluss und blickte unter dem Vordach hinaus in das nächtliche Inferno. An Schlaf war bei diesem Lärm ohnehin nicht zu denken. Regen, vermischt mit Hagelkörnern, prasselte auf die Erde. Über ihnen kochte der Himmel. Orkanböen peitschten die Wipfel, während das Wetterleuchten schauerliche Muster auf die eilig vorüberziehenden Wolken zeichnete. Wahre Sturzbäche strömten herab und verwandelten die ebene Grasfläche in eine kochende Seenlandschaft. In den Regen mischten sich jetzt auch Schneeflocken. Vor ihren Augen wurde das Wasser zu Schneematsch. Der Sturm hatte sie erreicht.
    »Alles klar bei euch?« Sie konnte nur hoffen, dass man sie bei dem Getöse überhaupt hören konnte. Karl war der Erste, der antwortete. »Ja, alles klar so weit!«
    In den Zelten war Bewegung zu sehen. Lichter gingen an, und besorgte und verängstigte Gesichter erschienen an den Eingängen. »Mellie, Dan, bei euch auch alles in Ordnung?«
    »Abgesehen davon, dass man bei dem Lärm kein Auge zu bekommt, alles okay«, antwortete Mellie.
    »Was ist mit Ray?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Dan. »Muss wohl einen gesegneten Schlaf haben.«
    »Ray?«
    Keine Antwort.
    »Scheiße.« Amy schlüpfte in ihre Jacke, schlug den Kragen hoch und rannte zum Zelt des Iren. »Ray, alles klar bei dir?«
    Sie öffnete das Zelt einen Spalt und leuchtete hinein. Der Schlafsack war leer. Kleidung sowie Lampe waren ebenfalls verschwunden.
    »Da soll mich doch …«
    »Amy, da drüben.« Karl deutete links in den Wald.
    Ein schattenhafter Umriss war am Rande der Lichtung erschienen und

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