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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Akten, stapelte sie und legte sie in einem Ordner mit der Aufschrift
Vorträge
im Wandregal ab. Während sein Blick die Sammlung seltener Massai-Speere und Makonde-Masken streifte, huschte ein schmales Lächeln über sein Gesicht. Der Abend war prächtig gelaufen. Erst seine Ansprache anlässlich des dreißigsten Jahrestages des
Dian Fossey Gorilla Fund,
dann die Ehrung der fünf besten Nachwuchsforscher mit anschließendem Galadiner und zu guter Letzt das Tanzvergnügen mit dem
Imperial Swing Orchestra,
das bis spät in die Nacht gedauert hatte. Und alle waren sie da gewesen: der Bürgermeister nebst Gattin, über zwei Dutzend hochrangiger Würdenträger aus Kultur und Wirtschaft, deren Spendengelder einen frischen Segen in die notorisch leeren Kassen der Naturschutzorganisation spülen würde, sowie die Vertreter der Presse, die morgen in allen wichtigen Nachrichtenblättern über die Veranstaltung berichten würden. Alles war bis aufs i-Tüpfelchen geplant gewesen, und der Erfolg gab ihm recht. Es war sogar noch etwas Zeit für private Vergnügungen geblieben. Whitman konnte sich nicht erinnern, wann er und seine Frau das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatten. Betty war seine dritte Ehefrau und etwa halb so alt wie er. Wenn er die Augen schloss, fühlte er noch immer seine Füße über den Parkettboden gleiten, spürte seine Hände auf ihren Hüften und den Duft ihres Parfüms in seiner Nase. Sie war jung und wollte unterhalten werden. Ein Luxus, den er ihr leider viel zu selten bieten konnte.
    Die Leuchtziffern seines Digitalweckers wurden von der rotbraunen Kirschholzplatte seines Schreibtisches zurückgeworfen. Schon zwei vorbei. Noch ein kurzer Blick auf die E-Mails, dann würde er ins Bett gehen. Er benötigte nicht mehr so viel Schlaf wie früher. Vier bis fünf Stunden pro Nacht waren völlig ausreichend. Abgesehen davon wirkte die Hauptstadt um diese Uhrzeit viel friedlicher. Es gab keine Intrigen, keinen Lärm und keinen Gestank. Es war, als hätte jemand eine sanfte Decke aus Schlaf über alles gelegt.
    Während der Computer hochfuhr, schaute er aus dem Fenster seines Dachgeschosszimmers. Sein Blick schweifte über den Franklin Park und das hell erleuchtete Weiße Haus, über das Washington Monument bis hin zum Potomac River, auf dessen dunklem Wasser die Lichter unzähliger Boote glitzerten. Sehnsüchtig betrachtete er die nächtliche Szenerie. Nur noch drei Jahre, dann würde er dem Geschäftsleben den Rücken kehren und sich seiner zweiten großen Liebe widmen: seiner Yacht auf Martha’s Vineyard und dem endlosen Ozean dahinter.
    Ein Piepsen zeigte ihm an, dass sein Rechner hochgefahren und startbereit war. Der Professor ließ sich ins weiche Leder seines Stuhls sinken. Er wollte gerade das E-Mail-Programm öffnen, als ein Blinken am oberen Rand seines Monitors seine Aufmerksamkeit erregte. Es war das Symbol seiner gesicherten Videoleitung. Eine Nummer, die nur seinen engsten Vertrauten bekannt war und mit deren Weitergabe er sehr sparsam umging. Noch nie hatte einer der Benutzer es gewagt, ihn wegen irgendeiner Nichtigkeit zu belästigen.
    Mit einem Doppelklick startete er das Programm und wartete. Es dauerte keine dreißig Sekunden, da war die Verbindung hergestellt. Er staunte nicht schlecht. Das grieselige Bild von Amy Walker erschien auf dem Bildschirm. Ihr Kopf war zum Teil von einer Zeltplane verdeckt, und es war ihm nicht möglich zu beurteilen, ob der hohe Weißanteil im Bild auf die schlechte Verbindung oder eine Funktionsstörung der Kamera zurückzuführen war.
    »Ich grüße Sie, Amy«, sagte er. »Was verschafft mir die Ehre zu so später Stunde?«
    Die Biologin schien ihn weder zu sehen noch zu hören. Sie zerrte an der Zeltplane herum und band diese dann nach hinten, damit sie nicht ständig vor die Kamera rutschte. Erst jetzt konnte Whitman erkennen, dass es keineswegs technische Probleme waren, die das Bild so hell werden ließen. Die Biologin saß im Schnee.
    »Amy, können Sie mich hören?« Er klopfte gegen das Mikro.
    »Professor?« Die Verhaltensforscherin justierte ein wenig an ihrer Technik, dann huschte ein Ausdruck der Erleichterung über ihr Gesicht. Bild und Ton schienen wieder da zu sein. »Können Sie mich hören?«
    »Klar und deutlich. Was gibt es?« Whitman fand, dass sie müde aussah.
    »Bitte entschuldigen Sie. Ich würde Sie nicht um diese Uhrzeit stören, wenn es nicht wichtig wäre.«
    »Sie haben Glück, dass Sie mich überhaupt antreffen«, sagte er. »Wir

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