Korona
die von Matthew Griffin.«
Amy neigte den Kopf. »Warum hat er eigentlich seinen Namen geändert?«
»Ich weiß nicht, wie viel Ray Ihnen erzählt hat, aber nachdem das Revisionsverfahren abgeschmettert worden war und klar wurde, dass er ins Gefängnis musste, beging sein Vater – ein einfacher Arbeiter in einer Gießerei – Selbstmord. Matthew war Einzelkind und der ganze Stolz der Familie. Die Eltern hatten alles geopfert, um dem Jungen das Studium zu finanzieren. Von einem Tag auf den anderen standen sie vor den Scherben ihrer Existenz. Ausgegrenzt, angefeindet und von der Presse durch den Dreck gezogen. Der Vater zog die Konsequenzen. Seine Mutter starb meines Wissens fünf Jahre später völlig verarmt. Ich konnte das nicht mehr so genau mitverfolgen, da ich ja, wie Sie wissen, in dieser Zeit von Cambridge nach Washington wechselte. Jedenfalls nahm Matthew später ihren Mädchennamen an. Er wollte den Namen Griffin aus dem Gedächtnis der Medien tilgen und ein neues Leben beginnen.«
»Und wieso Ray?«
»Raymond ist sein zweiter Vorname.«
Amy nickte gedankenverloren. Sie musste an William Burke denken, an seine starke Persönlichkeit und an seinen beinahe krankhaften Ehrgeiz. Sie dachte daran, wie fasziniert sie anfangs von ihm war, wie sehr sie aber sein rücksichtsloses Verhalten später abgestoßen hatte. Gewiss, er hatte sie ausgenutzt, doch war er zu einer solchen Tat fähig? War er wirklich in der Lage, seinen Freund zu opfern, nur um seine Haut zu retten?
»Warum sollte William vor Gericht gelogen haben?«, fragte sie. »Ich dachte immer, die beiden seien die besten Freunde gewesen.«
»Das ist eine Frage, die ich Will selbst gern gestellt hätte«, sagte Whitman, »doch Ray hielt mich davon ab. Er bat mich, die Sache für mich zu behalten. Ich war der Einzige, den er ins Vertrauen gezogen hat – eine furchtbare Verantwortung. Ein paarmal stand ich kurz davor, mein Wort zu brechen, das können Sie mir glauben.«
»Wieso dieses Vertrauensverhältnis? Ray war doch nur ein einfacher Student.«
»Einfach?«
Whitman lächelte dünn. »Er war der beste Schüler, den ich je hatte. Unglaublich talentiert, besonnen und gleichzeitig begeisterungsfähig. Ich bin sicher, er hätte einen der besten Abschlüsse gemacht, die es an dieser ehrwürdigen Fakultät je gegeben hatte. Eine unglaubliche Leistung für jemanden, der es in seiner Kindheit so schwer hatte. Sie wissen vielleicht, dass ich selbst aus einfachen Verhältnissen stamme …« Er seufzte. »Sie mögen es mir als Sentimentalität auslegen, aber zwischen uns gab es eine ganz besondere Verbindung. Ray war für mich wie der Sohn, den ich nie hatte. Ein wunderbarer Junge.«
Amy konnte sehen, wie sehr diese Geschichte den alten Mann mitnahm. Trotzdem, sie durfte jetzt nicht lockerlassen. »Eines verstehe ich immer noch nicht. Was hätte Burke auf die Idee bringen sollen, seinen besten Freund ans Messer zu liefern?«
»Nun, dafür gibt es eine Menge Gründe.« Whitman strich über seine Nase. »Vielleicht wurde er von seiner Familie unter Druck gesetzt, vielleicht sogar zu einer Falschaussage gezwungen. Vielleicht war es aber auch einfach nur sein Streben nach Macht und Karriere. Ihm stand eine glänzende Zukunft bevor. Warum alles opfern für einen Jungen, der in der Gosse groß geworden war? Für ein Nichts, einen Niemand? Ray war gut, keine Frage, aber würde er es in seinem Beruf so weit bringen wie ein William Burke, dessen Familienname schon ausreichte, um die Türen der wichtigsten Forschungseinrichtungen zu öffnen?« Whitman zuckte die Schultern. »Durchaus möglich, dass in diesen Augenblicken seine Arroganz und sein Dünkel an die Oberfläche kamen.«
»Ohnehin merkwürdig, dass die beiden Freunde geworden sind«, sagte Amy. »Kinder aus so unterschiedlichen Gesellschaftsschichten …«
»Aber das ist ja das Bemerkenswerte an Kindern, finden Sie nicht? Diese Bereitschaft, den anderen zu akzeptieren, ohne Scheuklappen und gesellschaftliche Ressentiments. Die Vorbehalte werden ihnen erst von ihrem Umfeld eingeimpft.«
Amy strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Na schön. Was ist das für ein Detail, von dem Sie mir erzählen wollten?«
Whitman lehnte sich zurück, kramte in seiner Schreibtischschublade und holte ein Päckchen Zigaretten hervor. Er steckte eine an und nahm einen tiefen Zug. »Eigentlich sollte ich die Dinger nicht mehr rauchen, mein Arzt hat es mir verboten. Aber manchmal muss es eben sein.« Er lächelte
Weitere Kostenlose Bücher