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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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gegenüberzutreten.« Whitman atmete tief ein. »Sie ahnen gar nicht, wie schwer es ihn getroffen hat, als er von seinem Verschwinden erfuhr. Es hat ihn beinahe um den Verstand gebracht.«
    »Woher wusste er davon?«
    »Aus der Presse. Über das Thema wurde ziemlich ausführlich berichtet. Das eine oder andere erfuhr er auch von mir, ich habe ihn ja regelmäßig besucht. Jedenfalls ging es ihm nach einer Weile wieder besser. Er nahm an, dass Burke sich aus dem Staub gemacht hat, eine Vermutung, die ich nicht teilte. Dafür ist Burke zu stolz und zu arrogant. Aber selbst wenn es so ist, es wird ihm nichts nützen. Ray wird ihn finden, egal wohin er gegangen ist.«
    Amy senkte die Stimme. »Was wird geschehen, wenn die beiden aufeinandertreffen?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Praktisch alles ist möglich. Doch was auch geschehen wird, Sie sollten sich da raushalten. Es ist etwas Persönliches und geht niemanden von uns etwas an.«
    »Er will Rache, habe ich recht?«
    »Und wenn es so wäre? Er hat allen Grund dazu. Burke hat ein fundamentales Unrecht begangen, und er wird dafür zur Verantwortung gezogen werden. Wenn schon nicht von einem Gericht, so doch von seinem ehemaligen Freund. Auge in Auge und ohne die Möglichkeit, hinter seinen Eltern oder einem Staranwalt in Deckung zu gehen. Und wenn das geschieht, sollten Sie möglichst weit weg sein.«
    Amy presste die Lippen aufeinander. »Das wäre Selbstjustiz, das kann ich nicht zulassen, und das wissen Sie genau.«
    »Amy, ich kann Ihnen nur den gutgemeinten Rat geben: Begeben Sie sich nicht zwischen die Fronten. Machen Sie nicht den Fehler, Ray zu unterschätzen. Er ist hochintelligent, und er ist gefährlich. Er wird von etwas getrieben, das Sie nicht mal im Entferntesten verstehen können. William Burke hat ihm alles genommen: seine Familie, seinen Beruf, seine Zukunft,
sein Leben.
Alles, was ihn noch antreibt, ist der Wunsch, seinem Peiniger gegenüberzutreten und ihn zur Rede zu stellen.« Er seufzte. »Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich das zulassen soll, aber irgendwann bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass weder ich noch irgendein anderer das Recht hat, ihn daran zu hindern.«
    Amy presste die Lippen aufeinander und schwieg.
    Sie dachte lange nach, dann sagte sie: »Es war wichtig, dass ich all das erfahre, auch wenn ich Ihre Entscheidung für falsch halte. Ray Cox ist ein Fall für den Psychologen, nicht für unsere Forschungsarbeit. Ich verabscheue jede Form von Selbstjustiz, möge der Anlass dafür auch noch so begründet sein. Doch das ist nur meine persönliche Meinung und hat mit dieser Sache eigentlich nichts zu tun. Was ich aber zutiefst missbillige, ist Ihre Entscheidung, das Problem einfach auf mich abzuwälzen und dabei zuzusehen, wie ich mit der Situation fertig werde. Das nehme ich Ihnen persönlich übel, und das lasse ich auch nicht so kommentarlos geschehen. Im Moment sind mir die Hände gebunden, aber ich werde mir Konsequenzen vorbehalten, sobald ich zurück bin. Leben Sie wohl, Professor.« Ihr Finger wanderte zum Ausschaltknopf.
    »Warten Sie«, sagte Whitman. »Ich habe da noch etwas für Sie. Es dauert nur einen Augenblick.« Er stand auf und verließ seinen Schreibtisch. Amy hörte, wie im Hintergrund eine Schranktür klapperte, dann erschien er wieder auf dem Monitor. »Das wollte ich Ihnen unbedingt noch zeigen.« Er hielt ein Foto in die Kamera. »Vielleicht ändert es Ihre Einstellung noch ein wenig. Es zeigt die drei Jugendlichen ein Jahr vor ihrer Examensprüfung, kurz vor dem tragischen Unfall. Schauen Sie genau hin und sagen Sie mir, dass ich im Unrecht war.«
    Amy rückte näher an den Bildschirm. Es war eine Schwarzweißaufnahme, aufgenommen unter freiem Himmel, mit dem ehrwürdigen Fakultätsgebäude im Hintergrund. Elf Jugendliche standen in einer Zweierreihe auf dem Rasen und blickten in die Kamera. In der vorderen Reihe, halb hockend, halb auf ein Knie gestützt, saßen drei Studenten. Einen von ihnen erkannte Amy sofort. Es war William Burke, unschwer zu erkennen an seinem überheblichen Grinsen. Neben ihm, den Arm um ihn gelegt, hockte ein Mädchen mit langen blonden Haaren, einer Menge Sommersprossen und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Unzweifelhaft Hazel McNamara. Und rechts von ihr – Amy stockte der Atem – Ray Cox, oder Matthew Griffin, wie er damals noch hieß. Wären nicht diese unverwechselbaren Augen gewesen, Amy hätte ihn vermutlich nicht wiedererkannt. Ein Schopf

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