Korona
traurig. »Ich würde Ihnen gern eine anbieten, wenn Sie nur nicht so verdammt weit weg wären.«
Amy winkte ab. »Lassen Sie nur. Erzählen Sie einfach weiter.«
Er nahm noch einen Zug, dann legte er die Zigarette weg. »Gut. Wo war ich? Ach ja. Es gab eine Bemerkung, die mich stutzig werden ließ. Eine unbedachte Äußerung, die Ray einige Jahre später fallenließ. Ich fragte ihn, ob er sich noch an irgendein Detail des Unfalls erinnere. Ich spürte, dass es ihm schwerfiel, daran zu denken. Sein Kopf hatte bei dem Aufprall etwas abbekommen und seine Gedanken waren lückenhaft. Ein Satz blieb mir aber im Gedächtnis. Er erwähnte etwas von Handschuhen, die Will angeblich getragen hätte. Handschuhe, von denen später nie wieder die Rede war, auch nicht in den Protokollen. Ich fragte ihn, wo die denn geblieben sein könnten, das seien doch immerhin wichtige Beweisstücke, doch er wusste es nicht. Das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass er auf der Kühlerhaube gelegen und für einen kurzen Moment das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Dabei glaubte er gesehen zu haben, wie Will aufgestanden und in den Wald gegangen sei.«
»Um was zu tun?«
»Das wusste er auch nicht. Er war noch nicht mal sicher, ob er das Ganze nicht bloß geträumt hatte.« Whitman nahm noch einen Zug und blies den Qualm in die Luft. »Diese Handschuhe ließen mir keine Ruhe«, fuhr er fort. »Ich ließ mir die Stelle in allen Einzelheiten beschreiben, nahm mir einige Tage Urlaub und fuhr hin. Von dem Unfall war kaum noch etwas zu sehen. Es war immerhin einige Zeit vergangen und das Gelände war kniehoch mit Brennnesseln und Brombeeren überwuchert. Ich fand die Aufschlagstelle und begann, systematisch in der Richtung zu suchen, in die Will gegangen sein mochte. Ich hatte sogar eine Hacke und einen Spaten mitgebracht und verbrachte Stunden damit, den Boden umzuwühlen. Nichts. Ich wollte schon wieder heimfahren, als mein Blick auf einen Baum fiel, in dessen Stamm ein markantes Astloch war. Ohne große Hoffnung griff ich hinein.«
»Und fanden was?«
Whitman zog eine Fotografie aus seiner Schublade und hielt sie in die Kamera. Zu sehen war ein Paar alter, zerschlissener Lederhandschuhe, die so aussahen, als habe ein Vogel sie zum Nestbau benützt. Das ehemals gepflegte Material war zu einem Klumpen grünem, fleckigem Unrat zusammengeschmolzen, der kaum noch die Bezeichnung
Leder
verdiente.
»Wills Handschuhe?«
»Bingo!« Whitman nickte. »Ich nahm sie mit und ließ sie auf Spuren gentechnisch verwertbaren Materials untersuchen. Die Ergebnisse waren eindeutig. Haar und Blutspuren kennzeichneten die Handschuhe eindeutig als die von William Burke.«
»Das heißt, es gab nur deshalb keine Fingerabdrücke auf dem Lenkrad, weil er Handschuhe getragen hatte?«
»Wäre möglich.«
»Aber warum waren stattdessen Rays Abdrücke auf dem Lenkrad?«
»Ray hatte ausgesagt, dass er helfend ins Steuer gegriffen habe, um den Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Fest steht, der Urteilsspruch würde mit dem Auftauchen der Handschuhe null und nichtig.«
»Und das haben Sie ihm verschwiegen?«
»Im Gegenteil. Ich habe Ray dringend geraten, das Verfahren neu aufzurollen, in Revision zu gehen und die sofortige Freilassung zu beantragen. Doch mein Bitten stieß auf taube Ohren. Ich hatte ihm die Handschuhe ins Gefängnis gebracht, doch sie waren als Beweismittel mittlerweile nicht mehr zu gebrauchen. Er hatte sie reinigen lassen und trug sie stets bei sich. Er wollte, dass sie ihn an das verübte Unrecht erinnerten. Würde mich nicht wundern, wenn er sie sogar mit nach Afrika genommen hat.«
»Warum hat er sich geweigert, in Revision zu gehen?«, fragte Amy. »Er hätte die Chance gehabt, wieder auf freien Fuß zu kommen.«
»Er hatte aufgegeben«, sagte Whitman und in seinen Augen schimmerte Bedauern. »Ray war ein anderer Mensch geworden. Das Gefängnis hatte seinen Willen gebrochen. Ich hatte ihn im Verdacht, Drogen zu nehmen. Eine Vermutung, die sich später leider als allzu wahr herausstellte. Ich glaube, er war zu diesem Zeitpunkt bereits so weit in sein Schneckenhaus gekrochen, dass niemand mehr an ihn herankam. Er hatte völlig den Überblick verloren und fing an zu glauben, dass er tatsächlich schuld an dem Unfall gewesen sei. Er gab sich die Schuld am Tod seines Vaters und betrachtete seine Haft als Buße für seine Verbrechen. Ich glaube, das Einzige, was ihn daran hinderte, Selbstmord zu begehen, war der Wunsch, William Burke
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