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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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gelber Sack am Himmel, dessen blendend helle Strahlen das Land in flirrendes Licht tauchten. Schwebende Inseln beherrschten den Himmel, vor denen merkwürdig aussehende Schiffe vorbeizogen. Das Bild einer verlassenen Stadt tauchte im Hintergrund auf. Es wurde größer, bis es schließlich das gesamte Blickfeld ausfüllte. Düstere Formen waren im Inneren zu sehen, Gestalten jenseits alles Menschlichen. Kreaturen, deren einziger Sinn darin bestand zu töten. Nach einer Weile erschien ein anderes Bild. Sie sah einen Thron. Er stand auf der Spitze einer absurd hohen Treppenflucht, die komplett aus den Schädeln erschlagener Feinde errichtet war. Eine Frau saß dort oben. Sie war prächtig gekleidet und von außergewöhnlicher Schönheit, doch ihr Gesicht war kalt wie Eis. Einsam und verbittert saß die Herrscherin inmitten all ihres Reichtums und konnte doch keine Freude empfinden. Erst als ihr Blick auf die Hexenmeisterin fiel, hellte sich ihre Miene auf. Ihre strahlend grünen Augen begannen zu leuchten. Ein grausames Lächeln zog über ihr Gesicht. Sie hob den Arm und deutete nach oben. Das Bild der Sonne rückte wieder ins Zentrum. Immer größer und größer wurde der gelbe Sack, bis er zu platzen drohte. Lichter zuckten über den Himmel und Donner ertönte, dann verblasste die Vision.
    Es war vorüber.
    Die Hexenmeisterin öffnete die Augen. Kalte Rauchschwaden zogen durch den Raum. Fröstelnd begann die Frau, die Opferfeuer zu löschen. Sie schlurfte von Schale zu Schale und ließ Bergwasser in die Glut laufen. Zischend verlöschten die Flammen. Dampf stieg auf. Die Verbindung war erfolgreich gewesen. Die Fremden hatten die Weltebene durchdrungen. Die Königin würde zufrieden sein.
    Eines jedoch bereitete der Hexenmeisterin Sorge: Auf der Oberfläche der immerwährenden Sonne war ein Fleck gewesen, ein schwarzer Schatten. Eine flüchtige, kaum wahrnehmbare Bewegung wie der Flügelschlag einer Krähe oder wie Rauch, der durch eine Öffnung weht. Eigentlich schwang das Portal nur in eine Richtung, doch selten, ganz selten, kam es vor, dass etwas von der äußeren Welt zu ihnen kam. Pflanzensamen, Vögel oder Insekten. Diesmal war es etwas Größeres. Die Hexenmeisterin hatte es nicht genau erkennen können, doch sie spürte, dass eine tödliche Gefahr davon ausging.
    Eile war geboten. Die Tore mussten geschlossen und die Wachen verstärkt werden. Was mit jenen geschah, die es nicht rechtzeitig ins Innere schafften, nun, das wusste der Himmel.
    Die Arme ausgestreckt, ging sie durch die Dunkelheit. Schon spürte sie den Wind auf ihrer Haut, dann stand sie im Freien.
    Ihre trüben Augen konnten nur verschwommene Details erkennen. Die Sonne war hinter einer Wolkenbank verschwunden und von der Schlucht her stieg Nebel auf. Man konnte dabei zusehen, wie er über die Hügelkuppen strich, Felder und Wiesen bedeckte und Bäume verschluckte. Ganze Berghänge wurden weggewischt, während der Nebel mit jedem Augenblick dichter wurde. Wirbelnde Gestalten aus Wasserdampf umspielten den heiligen Berg und hüllten ihn so dicht ein, dass man glaubte, auf einer einsamen Insel zu stehen. Was war das? Die Hexenmeisterin war alt – so alt wie die Bäume und Felsen ringsumher –, aber an einen derartigen Nebel konnte sie sich nicht erinnern. Sie zog das Fell dichter um ihre Schultern und trat neben ihre beiden Leibwachen. Die Blicke der Frauen waren auf den nördlichen Teil des Plateaus gerichtet, dorthin, wo der Nebel besonders dicht war. Schweigend starrten sie auf die Wand aus waberndem Dunst.
    »Was seht ihr?«, fragte die Hexenmeisterin mit krächzender Stimme.
    »Dort drüben, Herrin«, die linke Wache deutete auf einen mannshohen Felsblock, der aufgrund seiner ungewöhnlichen, runden Form als Ritualstein genutzt wurde.
    »Was ist dort?«
    »Seht Ihr das nicht? Rechts daneben.«
    Die Hexenmeisterin kniff die Augen zusammen. Wenn nur ihr Augenlicht besser wäre.
    Plötzlich erkannte sie eine Bewegung. Irgendetwas war da.
    Es war groß. Mindestens so groß wie der Felsen.
    Die Hexenmeisterin wollte näher heran, doch die Wache hielt sie zurück. »Nein, Herrin.« Ihre Stimme bebte vor Furcht. »Es blickt genau zu uns herüber.«
    In diesem Augenblick kam ihnen die Gestalt entgegen. Sie richtete sich auf und wurde größer. So groß, dass sie den Ritualstein um Haupteslänge überragte. Ein übler Geruch wehte zu den Frauen herüber. Es stank nach Verwesung und Pestilenz, so wie die Beeren des Aronstabs. Schlagartig wusste sie,

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