Korona
was das war. Doch wie war das möglich? Lag es daran, dass die Pforte in so kurzer Zeit zweimal geöffnet worden war? War der Spalt zu groß geworden?
Die Hexenmeisterin spürte einen Anflug von Panik. Angeblich sollte die Stadt ihnen genügend Schutz bieten, aber was, wenn nicht? Sie musste etwas unternehmen und ihr Volk warnen, doch ihr Körper war wie erstarrt. Es war, als hätte ein fremdes Bewusstsein Kontrolle über sie gewonnen.
Die Kreatur breitete ihre Arme aus, stieß zwei tiefe, vogelähnliche Rufe aus, dann verschwand sie im Nebel.
Wenige Augenblicke später ertönten von unten die ersten Schreie.
33
R ay ging mit gesenktem Kopf durchs Unterholz. Das Weiterkommen war an diesem Nachmittag besonders schwierig. Es schien, als habe die Natur den plötzlichen Wärmeeinbruch mit einem ungewohnt heftigen Wachstum quittiert. Ehemals gut erkennbare Wege waren verschwunden oder von wucherndem Unterholz überwachsen, so dass man fortwährend in die Irre geleitet wurde.
Karl und Dan waren vorausgegangen. Sie kundschafteten die Strecke aus, während Mellie und Amy bei Ray geblieben waren. Eine Vorsichtsmaßnahme, die zeigte, wie wenig Vertrauen man ihm noch entgegenbrachte. Klar war es ärgerlich, aber was hätte er tun sollen? Wie hätte er ahnen können, dass der alte Mann gleich bei der erstbesten Gelegenheit plaudern würde? Er hatte ihm doch in die Hand versprochen, den Mund zu halten. Ach egal. Die Sache endete sowieso hier. Schon bald würde er im nächsten Flieger sitzen und heim nach Irland düsen. Der enttäuschende Abschluss einer enttäuschenden Reise.
»Was dauert das denn so lange?« Mellie war ein Stück ins Unterholz gelaufen und hielt nach den beiden Männern Ausschau. »Die sollen sich mal beeilen. Ich hab eine Scheißangst hier draußen.«
»Geht mir genauso«, sagte Amy. »Ich wäre froh, wenn wir endlich wieder zurück wären.«
Ray blickte in die Runde. Einem aufmerksamen Beobachter sprangen die Veränderungen förmlich ins Auge. Der Boden war hart und ausgetrocknet, als wäre seit Wochen kein Tropfen Wasser vom Himmel gefallen, dabei hatte es doch kürzlich noch wie aus Eimern geschüttet. Wo war der ganze Schnee geblieben? Der feuchte, immergrüne Nebelwald wirkte spröde und verdorrt. Pflanzen mit dornigen und scharfkantigen Blättern versperrten ihnen den Weg, und von dem Trampelpfad, der sie zurück in die Zivilisation bringen sollte, war nichts mehr zu erkennen. Eine seltsame Art stacheliger Efeu bedeckte weite Teile des harten Lehmbodens und machte jede Spurensuche unmöglich. Und dann diese Mücken. Fiese kleine pechschwarze Stecher, die ganz verrückt waren nach schweißnasser Haut. Ray hatte sie bei ihrer Ankunft nicht bemerkt und hätte schwören können, dass sie nicht da gewesen waren.
Ungeduldig wischte er über seinen Nacken. Das feine Sirren in seinen Ohren brachte ihn schier um den Verstand.
»Was ist denn jetzt?«, murmelte Mellie. »Sind die Herren eingeschlafen, oder was?«
»Lauf vor und sieh mal nach, was los ist«, sagte Amy. »Ich halte hier solange die Stellung.«
Die Botanikerin tauchte ins Gestrüpp und wurde nach wenigen Schritten vom Unterholz verschluckt.
»Ist doch eigenartig, dass wir den Weg nicht mehr finden, oder?«, sagte Ray. »Ich bin den Weg mindestens dreimal gegangen. Ich hatte nie Probleme, mich zu orientieren. Bis auf heute.«
»Sei still«, sagte Amy kurz angebunden. Sie hatte den Kopf erhoben und spähte nervös in die Richtung, in die ihre Freunde verschwunden waren.
»Hör zu, es tut mir leid, was geschehen ist«, sagte Ray. »Ich wollte nicht, dass es so kommt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du nie etwas von dieser Sache erfahren. Ich wäre einfach irgendwann verschwunden, und du hättest nie wieder etwas von mir gehört.«
»Du meinst, nachdem du Will umgebracht hättest?« Ihre Stimme war schneidend wie ein Schwert. »Tut mir leid, dass ich dir einen Strich durch die Rechnung gemacht habe.«
Er schwieg. Wie sollte er dieser Frau klarmachen, was William Burke ihm angetan hatte?
»Ich habe es dir doch schon zu erklären versucht«, sagte er. »Es ist keineswegs sicher, was geschehen wäre. Vielleicht hätte ich ihn tatsächlich umgelegt, vielleicht hätte ich ihm aber auch nur die Fresse poliert. Ich weiß es nicht.«
»Du hast mich maßlos enttäuscht«, sagte sie. »Wir haben dir eine Chance geboten, und du versetzt uns einen Tritt in den Arsch. So läuft das nicht, verstanden?«
Er nickte. »Du hast ja recht. Ich
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