Korrupt (German Edition)
Er trank einen Schluck Bier.
«Die würde ich gerne mal an einen einsamen Ort mitnehmen. Da würden die echt staunen.»
«Dahin, wo die Wölfe ficken.»
«Was?»
«Ist das nicht so ein Ausdruck von euch? Vukojebina. Der Ort, an dem Wölfe ficken. Dein Bruder hat mir das bei unserer letzten Begegnung beigebracht.»
Vitomir lachte. «Vukojebina. Du hast wirklich einiges gelernt. Drei Jahre mit Vitomir. So was bringen sie einem nicht an der Uni bei, oder?»
«Da lernt man so einiges nicht.» Henrik Olsson lachte. «Aber es gibt Leute, die auf das vertrauen, was sie am Institut für Rechtswissenschaft gelernt haben, und jedes Mal, wenn ich denen vor Gericht begegne, müssen sie erleben, wie es ist, ohne Liebe von hinten gefickt zu werden.» Sie lachten. Henrik Olsson beugte sich vor und flüsterte: «Da wir schon mal beim Thema sind: Sind irgendwelche Feste in Aussicht?»
Vitomir zuckte mit den Achseln und spielte desinteressiert.
«Ja, ja», meinte Henrik Olsson und verdrehte die Augen. «Schweig ruhig, solange du mich verständigst, wenn wieder ein Ding steigt. Es ist schon so lange her, wenn du verstehst.» Seine Anwaltskollegen luden ihn nie ein. Wenn sie nach einem Gerichtstermin noch ein Bier trinken gingen, wurde er nicht gefragt, und Dates am Arbeitsplatz waren ausgeschlossen.
«Bin ich jetzt etwa auch noch dein Zuhälter? Kannst du dir keine Bräute leisten? Was machst du denn mit der ganzen Kohle, Henrik?»
«Hör schon auf. Ruf mich an, wenn ein paar Frauen mit am Tisch sitzen, dann komme ich.»
«Am Mittwoch.»
«Mittwoch», wiederholte Henrik Olsson erfreut. «Dann kaufe ich einen neuen Anzug und schleppe eine Braut ab. Was gibt es zu feiern?»
«Das wüsstest du wohl gern», meinte Vitomir Jozak grinsend.
4
Johan Droth hatte nach dem Essen ein paar Gläser Cognac getrunken. Vielleicht war ihm deswegen so nostalgisch zumute, denn er pflegte dem Alkohol nur sehr mäßig zuzusprechen. Er saß vor einem der offenen Kamine seiner Wohnung und schaute Fotos an. Er besaß ein Dutzend Alben, die er schon seit Jahren nicht mehr aufgeschlagen hatte. Bilder, die seine Mutter und seinen Vater zusammen mit ihm und seinen Geschwistern zeigten. Später: seine Frau mit den Kindern, Cousins und Cousinen. Jetzt hatten sie keinen Kontakt mehr. Sie würden erst zur Nachlasseröffnung wieder von ihm hören. Das ließ sich auf den Fotografien in dem Album nicht erahnen. Sie zeigten das Weihnachtsfest, zu dem sich alle versammelt hatten, so wie immer, als sein Vater noch lebte. Die große Familie am Esstisch im Sommerhaus in Sörmland, das von Erinnerungen erfüllt war, die er von sich wies, gegen die er sich aber nur schwer wehren konnte. Er schlug das Album zu und legte es zu den anderen auf den Tisch neben dem Sessel.
Mit ihm am Ruder war das Unternehmen aufgeblüht, die Familie aber zerbrochen. Seine Frau war nach Schottland zurückgekehrt, und seine Töchter wollten nichts von ihm wissen. Geblieben war nur Buster, der ihm immer fremder wurde. Er riskierte, vorzeitig zu sterben und alles, was er aufgebaut hatte, einem risikofreudigen Erben zu hinterlassen. Vielleicht war es ja besser, wenn Buster vor ihm starb. Dieser Gedanke erstaunte ihn selbst.
5
Hätte sie nicht gespürt, dass sie schwanger war, hätte sie geglaubt, vor Jahren schon im Dunkeln zurückgelassen worden zu sein. Ihre Arme waren am Fußboden gefesselt, und sie konnte das Blut nicht wegwischen, das ihr aus der Nase tropfte. Sie ließ es in den Mund laufen und schluckte. Die Tür wurde geöffnet, und Licht drang zwischen den Gestalten durch den breiten Spalt herein. Als es auf ihr Gesicht fiel, drehte sie den Kopf in die andere Richtung. Das Licht schmerzte ihr in den Augen, nachdem sie seit einer Ewigkeit in dieser Dunkelheit gelegen hatte, wie ihr schien. Zwei Männer betraten den Raum, die Tür wurde geschlossen. Erneut war es vollkommen dunkel, und Annie Lander schrie, so laut sie konnte, ehe ihr jemand eine große Hand auf den Mund legte und sie zum Verstummen brachte.
6
Schreibmaschinen, Textverarbeitungsmaschinen und Kopiergeräte verstummten, und jegliche Betriebsamkeit erlahmte, als Max Lander die Redaktion betrat.
An diesem Montagmorgen war es ohnehin schon stiller als sonst gewesen. Bei der Morgenbesprechung hatte Jan Wikholm berichtet, dass Annie Lander am vergangenen Freitag nach Feierabend nicht nach Hause gekommen sei. Niemand, weder Polizei noch Familie, habe seither von ihr gehört. Niemand, auf den ihre Beschreibung passe,
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