Korrupt (German Edition)
hielt sie fest umklammert. Nur eine Lampe neben der Tür spendete schwaches Licht. Vielleicht stand da jemand in der Dunkelheit und richtete eine Pistole auf ihn. Jederzeit konnte sein Adamsapfel explodieren. Geduckt eilte er ins Haus. Mit rasendem Puls durchsuchte er das Erdgeschoss. Rasch um jede Ecke in jedes Zimmer, wie er es auf der Polizeischule gelernt hatte.
Im Obergeschoss blieb er wie angewurzelt auf der Türschwelle stehen. Er fühlte sich, als hätte er einen Schlag auf den Kopf erhalten. Eine vollkommene Leere breitete sich in ihm aus. Vor ihm lag die zerschossene Leiche von Kay Orha.
Munkenberg hatte noch nie einen Toten, geschweige denn einen halbierten, gesehen. Orhas Schädel leuchtete rot. Der Täter hatte ihn skalpiert und seine Beute wie ein wildes Tier auf den Boden geworfen. Auf dem Tisch neben dem Telefon lag eine handgeschriebene Mitteilung. Ein Geständnis, das nicht unterschrieben, sondern mit blutigen Fingerabdrücken übersät war, die ihm die Schwammdrucktapeten seiner Mutter in Erinnerung riefen. Munkenberg las es, setzte sich und dachte, dass jetzt alles einen Sinn ergab. Er hatte das Gefühl, eine spitze Gabel verschluckt zu haben. Er griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer. Wie zum Teufel waren Orha und Theorin hierhergeraten? Hatten sie auf eigene Faust nach Annie Lander gesucht und waren dabei diesem verdammten Irren in die Hände geraten?
Borg hatte recht, dachte Munkenberg, während er in den Hörer lauschte, aber ich werde die Ehre dafür einheimsen. Der Mörder hat Jack the Ripper nachgeahmt. Munkenberg hätte das schon viel früher begreifen müssen, aber egal, er begriff es jetzt. Ein schwedischer Serienkiller. Das würde sich gut in seinem Lebenslauf machen. Als erste Streife bei der noch warmen Leiche Olof Palmes eingetroffen zu sein war nichts dagegen! Ihm war ein Sechser im Lotto geglückt!
Alles passte. Wenn er bei Max Lander anrief, würde niemand drangehen. Max Lander hatte einen Toyota, und der würde nicht vor seiner Wohnung stehen. Wenn die Fingerabdrücke auf dem Brief von Lander stammten, war er der Mörder, den er, Thomas Munkenberg, überführt hatte.
Der Anruf ging bei der Notrufzentrale in Eskilstuna um 18 . 23 Uhr ein. Eine Männerstimme ertönte, deren Erregtheit nicht zu entnehmen war, ob sie Ausdruck unendlichen Glücks oder unendlichen Schreckens war.
«Kriminalinspektor Munkenberg, Kripo Norrmalm. Ich fordere Verstärkung an. Zwei Polizisten sind erschossen worden. Ich wiederhole: Zwei Polizisten sind erschossen worden.»
«Okay. Was ist passiert?»
«Zwei Polizisten sind erschossen worden. Ich brauche zwei Krankenwagen.»
«Und wo befinden Sie sich?»
«Töversta-Gutshof in Helgesta zwischen Gnesta und Flen.»
«Sagten Sie, zwischen Gnesta und Flen?»
«Ja. Am Båven, dem See Båven.»
«Sagten Sie zwei Erschossene? Gibt es Verletzte?»
«Nein. Schreiben Sie einen beigen Toyota mit dem Kennzeichen ONO 430 oder ONO 480 zur Fahndung aus. Er gehört dem Täter.»
«Und bei den Erschossenen handelt es sich um Polizisten?»
«Ja, zwei Polizisten sind ermordet worden.»
11
Als er am Abend mit Avram bei dem Hausarzt in einem Zimmer saß, dachte Vitomir, dass Ranko sich für dieses Leben entschieden hatte. «Er wusste, dass so was passieren konnte», sagte er und sah Avram an. «Stimmt’s?»
Avram nickte. Rankos Leiche lag im Nebenzimmer. Seine Mutter würde Ranko nicht anschauen dürfen, ehe sie ihn begruben. Sein Kopf glich einer dünnen Maske mit zahllosen Rissen.
«Wenn man nicht aufpasst, kann so was passieren», fuhr Vitomir fort. «Das wusste er. Er wollte diese Risiken eingehen. Das hier hatte er gewählt.»
Avram nickte. «Hast du mit deiner Mutter geredet?»
Vitomir schüttelte den Kopf. «Noch nicht.» Er stand auf und trat ans Fenster. «Ich werde seinen Leichnam nach Belgrad bringen und ihm dort ein richtiges Begräbnis geben. Dann bleibe ich eine Weile dort.» Er drehte sich um. «Wir fahren in ein paar Tagen. Ich vereinbare einen Termin mit Božko. Jetzt ist Schluss mit dem ganzen Kleinkram, Avram. Restaurantbesitzern ein paar schlappe hunderttausend abzupressen lohnt nicht. Jetzt konzentrieren wir uns auf das große Geschäft. Wir werden der größte Importeur Nordeuropas. Die fette Kohle kommt angerollt.» Vitomir sah Avram aus blutunterlaufenen, müden Augen an. «Big time, Avram.» Er nahm wieder Platz. «Bevor wir fahren, will ich, dass du herausfindest, wer in diesem Haus war, wem es gehört und was den
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