Korrupt (German Edition)
Annies Leben gebangt und daher die Geburt eingeleitet. Man nannte ihn den Hausarzt, und er erzählte Max, er habe in Belgrad Medizin studiert.
«Ein paar Jahre nach dem Dichter Pavlović», sagte er zu Max. «Dann bekam ich Probleme.»
«Und zwar?»
«Die schlimmsten. Politische.»
Milan hatte sich der antikommunistischen Bewegung in Jugoslawien angeschlossen. Als Medizinstudent hatte er zusammen mit Kommilitonen nach Totenschädeln auf einer Ebene gesucht, auf der die Bauern ihre Tiere nicht weiden lassen wollten. Da hatte er zum ersten Mal das Ausmaß des kommunistischen Terrors begriffen. Er war geflohen und nach Schweden gekommen. Mehr als einmal hatte ihn der Gedanke gestreift, dass ihn vielleicht Kollegen von Vitomir Jozak innerhalb der UDBA gejagt hatten, aber darüber redeten sie nicht. Was Vitomir tat, hatte nichts mit Ideologie zu tun. Inzwischen waren sie sich ohnehin einig, dass die Kommunisten die Feinde waren.
Die stillende Frau schien ein paar Jahre jünger als Max zu sein. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht, blendend weiße Zähne, schmale Brauen und trug über einem hellblauen Kopftuch ein rotschwarzes Käppchen. Max war sich unsicher, ob er das Zimmer verlassen sollte, bis sie fertig war, oder ob das unhöflich gewesen wäre. Die Frau schien das zu spüren, sagte etwas ihm Unverständliches, sah Milan an und wiederholte lächelnd ihre Worte. Max sah sie an, und sie deutete auf das kleine Mädchen, das zu ihren Füßen auf einer Decke lag.
«Sie sagt, ihre Tochter heiße Gargaaro», erläuterte Milan. «Das bedeutet die Helfende. Sie hilft dir.» Milan lächelte.
«Welche Sprache spricht sie?», fragte Max und lächelte die Frau gleichzeitig dankbar an.
«Das spielt keine Rolle», antwortete Milan und wandte sich ab. «Wir sprechen jedenfalls beide dieselbe Sprache, aber nicht Schwedisch.» Er lachte. «Sie heißt Ambia.»
Max streckte seine Hand aus und sagte seinen Namen. Sie ergriff sie nach kurzem Zögern. Ihre Hand war zart.
«Sie kam vor einigen Jahren nach Schweden», fuhr Milan fort. «Ich helfe ihr. Sie kam aus Baidoa über den Grenzfluss Juba nach Kenia und von dort über Holland hierher. Ihre Familie ist noch in Somalia, und das Baby ist hier.» Er sah Max an. «Ein hartes Leben», sagte er ernst.
Ehe Max weitere Fragen stellen konnte, erzählte Milan, dass gleich Besuch käme. Der Chef.
Vitomir Jozaks Blick überzeugte Max davon, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Dass es Gründe gegeben hatte, ihn am Leben zu lassen, diese aber nun wertlos waren. Jozak war groß, trug eine gelbe Trainingshose zu einer schwarzen Lederjacke, und seine Hände waren so riesig wie Langspielplatten. Er hatte das Lächeln eines Kindes und die Augen eines Mörders. Sie waren rot und tränten, als hätte er gerade auf leeren Magen eine Flasche Wodka getrunken. Vitomir Jozak nahm Platz und erläuterte, wie sich Max’ verbleibende Zeit gestalten würde, ungeachtet dessen, wie lang oder kurz sie ausfiel. Avram zog sich einen Stuhl heran und setzte sich dazu. Ambia war gegangen. Milan verließ ebenfalls das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Vitomir Jozak sah Max in die Augen.
«Ich habe euch das Leben gerettet und will, dass es euch erhalten bleibt.»
Max nickte.
«Aber mein Bruder Ranko ist tot.»
Max wischte sich seine schweißnasse Hand an der Hose ab, die er vom Hausarzt bekommen hatte.
«Ranko muss gerächt werden. Und du stehst in meiner Schuld, weil ich euer Leben gerettet habe. Vielleicht brauche ich irgendwann mal eure Hilfe. Dann melde ich mich bei euch, und ihr tut, was ich sage.»
Max überlegte, worum ihn Vitomir wohl bitten würde, schob diesen Gedanken jedoch rasch beiseite.
«Ich werde euch finden, da ich euch mit neuen Pässen ausstatte.» Er klopfte zweimal auf seine Jackentasche. «Ihr werdet Schweden verlassen. Wegen des Mordes an zwei Polizisten und an deiner Frau wird nach dir gefahndet. Du kannst ihnen nicht die Wahrheit sagen, denn dann kapiert die Polizei, dass du nicht allein warst. Dann werden sie suchen und vielleicht auf uns stoßen. Das will ich nicht. Du stehst in meiner Schuld. Ich schenke dir dein Leben und deine Freiheit, und das ist der Preis, den du zahlst. Wir schaffen euch hier raus. Sobald ihr euren Aufenthaltsort wechselt, schickt ihr uns eine Postkarte, damit ich weiß, wo ihr seid. Wenn ihr ohne Mitteilung umzieht, gibt’s Probleme. Kapiert?»
Max nickte wortlos.
«Gut. Du schickst deine Mitteilungen an zwei Adressen,
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