Korsar meiner Träume
so, der Schmerz war nicht mehr so stechend wie zuvor. Sie musste zwar immer noch recht flach atmen, aber es fühlte sich nicht mehr länger so an, als ob jemand ihr mit einem rotglühenden Eisen in die Rippen stach. Eher, als ob es ein Knüppel wäre.
Und nach einer weiteren ruhelosen Nacht waren es nicht bloß ihre Rippen, die pochten. Ihr Kopf hämmerte ebenfalls. Weshalb sie wohl die Geräusche herannahender Schritte erst gehört hatte, als es fast schon zu spät war. Aber als sie sie endlich hörte und auch das Rascheln von Zweigen, die bewegt wurden, schnappte Claire sich mit der linken Hand ihr Messer und mit der rechten ihre Pistole.
Sie fühlte sich wie eine Idiotin, als zwei Frauen ihr Lager betraten. Beide trugen Tageskleider, beide waren unbewaffnet. Und dennoch, da es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, immer bereit zu sein, behielt sie ihre Waffen in den Händen, obwohl sie diese senkte.
Die Frauen waren ungefähr gleich groß, aber während die eine hellblondes Haar hatte und ein blaues Kleid trug, hatte die andere dunklere Haare und war grün gekleidet. Es war die dunkelhaarige Frau, die lächelte.
»Claire, nehme ich an?«, fragte sie.
Da nur eine Handvoll Leute auf der Insel ihren Namen kannte, und weil sie sich keine anderen Frauen vorstellen konnte, die nach ihr suchen würden, warf Claire die Pistole auf ihre Tasche und steckte das Messer zurück in ihren Stiefel. Dann wischte sie sich die Hände an der Hose ab.
»Samantha und Alicia«, seufzte sie. Weshalb hatte Claire das Gefühl, dass immer, wenn sie dachte, ihr Leben könne gar nicht schlimmer werden und sie könne sich nicht noch mehr schämen, als sie es ohnehin schon tat, ihr das Gegenteil bewiesen wurde?
Die Frau in Blau kam näher und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Alicia, freut mich, dich kennenzulernen.«
Claire zögerte einen Moment. Sie würde ihr nicht die Hand schütteln, jedenfalls nicht, solange ihre eigene Hand so dreckig war, wie sie es gerade war.
»Ich wünschte, es könnte unter besseren Umständen geschehen«, antwortete Claire.
»Ich bin Schmiedin, Claire. Sieh meine Hände an.«
Claire tat es und spürte, wie etwas von der Anspannung von ihr abfiel, als sie einen Hauch schwarzer Schmiere um Alicias Fingernägel entdeckte. Alicia streckte ihr wieder die Hand entgegen, und dieses Mal ergriff Claire sie.
»Ich bin ihre Schwester, Samantha.« Samantha legte den Kopf schief.
»Ich vermute, du hast schon von mir gehört?«
Claire nickte und war überrascht, dass diese Frau, diese äußerst hübsche Frau, einst der furchterregende Sam Steele gewesen war.
»Du siehst gar nicht wie ein Pirat aus.«
Samantha lachte.
»Ich nehme an, du dachtest wohl eher, dass mein Ehemann wie einer aussieht?«
»Ja, Luke sieht ganz gewiss wie einer aus.«
»Und er wird höchst erfreut sein zu hören, dass du das sagst.«
Sie bot ihr die Hand zum Gruß.
»Samantha Bradley.«
»Claire Gentry.«
Plötzlich wurde Claire der Grund dafür klar, weshalb sie nach ihr gesucht hatten und weshalb die beiden Frauen überhaupt auf dieser Insel waren, und ihr Magen verkrampfte sich.
»Die Beerdigung. Ist sie heute?«
Alicias Augen schimmerten.
»So ist es. Nate und Blake arrangieren alles. Wir sind erst vor Kurzem angekommen.«
»Vielen Dank, dass ihr mir Bescheid sagt«, sagte Claire.
»Ich werde kommen, sobald ich …« Sie streckte die Arme zur Seite, blickte an sich herunter und betrachtete sich mit den Augen der anderen Frauen. Abgetragene, staubige Stiefel, die bis zu ihren Knien reichten, eine graue Hose, die früher einmal schwarz gewesen war, und ein hellbraunes Hemd, das an den Ellenbogen dünn geworden war. Man musste gar nicht erst den Dreck erwähnen, der sich in jede Hautfalte eingegraben zu haben schien, oder die Tatsache, dass ihr Haar zottig und kurz geschnitten war, oder den Geruch, den sie gewiss verströmte, da sie sich schon seit Tagen nicht mehr gewaschen hatte.
Claire sah Alicia an, deren langes blondes Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten war, und dann Samanthas dunklere Locken, die offen und sauber um ihre Schultern flossen. Es lag keine Geringschätzung in ihren ruhigen Blicken, doch Claire hatte selbst genug davon. Sie sah aus und fühlte sich wie ein Gassenkind. Sie war allein gewesen und hatte sich schrecklich gefühlt, aber jetzt musste sie auch noch einen Freund zu Grabe tragen und dabei absolut furchtbar aussehen und sich ebenso fühlen.
Es war alles zu viel für sie. Claire
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