Korsar meiner Träume
dass du dein Wort mir gegenüber gebrochen hast. Ich habe das acht Jahre lang geglaubt. Verzeih mir, wenn ich mehr als einen Tag brauche, um etwas anderes zu akzeptieren. Außerdem, es ist ja nicht so, als ob du vor Vertrauen übersprudelst. Ich durfte ja noch nicht mal unter Deck schlafen, aus Angst, ich würde währenddessen mit der Hälfte deiner Mannschaft ins Bett gehen.«
Nate seufzte und trat einen Schritt zurück.
»Ich habe nie gedacht, du würdest mit meiner Mannschaft ins Bett gehen. Es war bloß eine Gelegenheit, dich zu treffen.«
»Nun«, stieß sie hervor, »dann hast du ins Schwarze getroffen.«
»Mir fällt es auch nicht leicht, jemandem zu vertrauen. Ich war noch klein, als ich ins Waisenhaus gekommen bin, aber ich habe geschworen, sobald ich diese Schwelle übertreten hatte, würde mich niemand jemals wieder verletzen. Einen körperlichen Schlag konnte ich ertragen, aber keinen anderen. Ich habe dir mehr von mir gegeben, dir mehr vertraut, als ich mir jemals hätte vorstellen können.«
So gescholten, ließ Claire den Blick sinken.
»Das hast du mir nie erzählt.«
Er hatte ihr nichts von alldem je erzählt. Sie hatte gefragt, gewiss, viele Male in jenen Jahren, die sie im Waisenhaus miteinander verbracht hatten, aber er hatte sich zu sehr geschämt, um ihr die Wahrheit zu sagen. Anstatt zu lügen, hatte er nichts gesagt. Bis zu diesem Tag kannte niemand seine Vergangenheit, nicht einmal die Frau, die das Waisenhaus zu der Zeit geleitet hatte, als er angekommen war.
»Das ist der Grund, weshalb ich nie nach dir gesucht habe. Ich war wütend, weil ich zugelassen hatte, dass du mir nahe genug gekommen warst, um mich so zu verletzen. Ich habe mich wie ein Narr gefühlt, weil ich deinen Worten geglaubt hatte.«
Claire saß auf ihrem Bett aus Zweigen und sah hinauf in seine traurigen Augen.
»War es so einfach zu glauben, dass nichts von alldem, was wir geteilt hatten, mir etwas bedeutet hatte?«
Nate atmete tief aus und starrte in die Dunkelheit hinaus. Er hätte sich nie träumen lassen, jemandem von seiner Vergangenheit zu erzählen, aber es schien, als ob die Zeit dafür gekommen war. Er musste sie begraben, ähnlich wie Claire ihren Vater begraben hatte. Und der einzige Weg dahin bestand darin, sie zunächst wieder auszugraben.
»Ich hatte Grund zu glauben, dass mich niemand lieben kann.« Er holte einmal tief Luft, dann noch einmal.
»Ich kannte meinen Vater nicht. Oder«, fügte er mit einem Achselzucken hinzu, als er sich wieder zu ihr umdrehte, »vielleicht tat ich das. Doch wer weiß?«
Auf ihren verwirrten Gesichtsausdruck hin erklärte er weiter:
»Meine Mutter war eine Hure. Es gibt keine vornehmere Art das auszudrücken, denn das war sie ganz einfach. Sie bot sich auf der Straße an, in den Kneipen, auf Schiffen. Sie war immer von Männern umringt. Es ist möglich, dass einer von ihnen mein Vater war und ich es nie wusste.«
»Unser Leben«, fuhr er fort, und hasste die Tatsache, dass die Erinnerungen nach all dieser Zeit immer noch so klar waren, »bestand aus dem Schlafen in fremden Betten. Nun ja, sie schlief in einem Bett, während ich immer auf den Fußboden verbannt wurde. Ein paar Mal hat sie mich sogar draußen schlafen lassen.«
»Wie alt warst du?«
»Vier.«
»Lieber Gott.«
»Nein«, antwortete er mit einem gezwungenen Lachen, »Gott war nicht oft in der Nähe. Wenigstens nicht in jenen Tagen. Wie auch immer, das war unser Leben, alles von der Hand in den Mund. Meistens trug sie mich wie ein Gepäckstück herum. Ich war immer schmutzig und meistens auch hungrig.«
Selbst jetzt noch konnte er sich daran erinnern, wie es war, hungrig genug zu sein, um in den Straßen nach Abfall zu suchen, den andere Leute wegwarfen. Nach einem Rest, irgendeinem Rest von etwas Essbarem.
»Aber eines Nachts, eines Nachts kam sie zu mir, ausnahmsweise mal nicht von Rum und Sex übel zugerichtet, und versprach, dass dieser neue Mann all unsere Sorgen verschwinden lassen würde. Es war ein Satz, den ich schon früher gehört hatte, viele Male, aber ein Vierjähriger neigt dazu, sich an jede Hoffnung zu klammern, die sein Schicksal ändern könnte.«
»Was ist passiert?«
»Mir wurde gesagt, ich solle draußen warten. Es war nicht das erste Mal, dass ich mir mit Steinespielen die Zeit vertrieben habe. Aber die Nacht wurde kälter und immer mehr Zeit verstrich, doch sie kam immer noch nicht heraus, um mich zu holen. Ich entschloss mich hineinzugehen, weil ich dachte, ich könnte
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