Kostas Charistos 5 - Faule Kredite
Angst, alles zu verlieren? Die Superreichen können es sich vielleicht leisten, aber was ist mit den Kleinanlegern?«
Tsolakis schüttelt ergeben den Kopf. »Als ich meinen Trainer nach den Pillen fragte, die er mir gab, hat er mir gesagt: >Das sind Vitaminpräparate, und frag nicht weiter nach.< Ich wusste, dass es keine Vitaminpräparate waren, aber ich habe sie geschluckt. Genau so funktioniert es mit den Hedgefonds-Managern. Wenn man sie nach dem Risiko fragt, sagen sie, die Investitionen seien hundertprozentig sicher. Obwohl du weißt, dass es nicht so ist, glaubst du ihnen. Denn Gewinne machen süchtig, Herr Kommissar, geradeso wie Medaillen.« Nach einer kurzen Pause setzt er hinzu: »Der Unterschied ist, beim Doping zerstörst du nur dich selbst. Durch die Hedgefonds werden auch viele Unschuldige, die gar nichts davon hatten, ins Unglück gestürzt.«
»Und was hatte Robinson mit alldem zu tun?«
»Robinson war kein Banker, sondern Hedgefonds-Manager. Und Hedgefonds-Manager verdienten damals eine Menge Geld, Herr Kommissar. Im Durchschnitt haben sie zusätzlich zu ihrem Gehalt noch zwanzig Prozent der Gewinne aus jeder Transaktion abgesahnt. Als das Finanzsystem zusammenbrach, war Robinson für britische und amerikanische Investoren ein rotes Tuch. Aber die First British Bank wollte ihn engagieren, weil sie an seine Fähigkeiten glaubte. Deshalb hat man ihm den Chefposten in Athen angeboten. Robinson sah darin die Möglichkeit für einen Neustart seiner Karriere. Es war klar, dass er hier nicht bleiben würde. Die Stelle in Athen sollte nur als Sprungbrett dienen.«
»Deshalb also war der Job ihm wichtiger als Frau und Kind.«
Tsolakis blickt mich überrascht an, und ich freue mich über meinen kleinen Wissensvorsprung. »Was hat das Ganze mit seiner Familie zu tun?«, fragt er verwundert.
»Seine Frau wollte zurück nach London. Robinson war dagegen, daraufhin ist sie mit dem Kind abgereist.«
Tsolakis lächelt. »So etwas können Sie sich nicht vorstellen, oder?«
»Man kann sich schwer ein Dilemma vorstellen, vor dem man selbst nie stehen wird.«
»Wenn du in deiner Karriere die zweite Chance nicht nutzt, die sich dir bietet, hast du verspielt, denn eine dritte gibt es nicht. Eine Familie kann man immer wieder gründen. Das wusste Robinson sehr genau, so wie alle anderen auch, die im selben Geschäft sind.«
»Wo haben Sie die Informationen her? Noch dazu ganze zwei Tage nach seiner Ermordung?« Ich frage danach, weil mir mein kleiner Finger sagt, dass er sich schon vorher über Robinson kundig gemacht hat.
Tsolakis lächelt. »Wie die Astrophysiker den Weltraum erkunden, so erforsche ich die Weiten des Internets, Herr Kommissar. Ich bin eine Art Web-Astrophysiker. Als ich von Robinsons Ermordung hörte, hatte ich innerhalb von drei Stunden seinen kompletten Lebenslauf recherchiert. Ich wünschte mir, dass meine Seele nach meinem Tod nicht in die himmlischen Sphären eingeht, sondern in die endlosen Weiten des Internets«, meint er mit bitterer Ironie.
Wäre Fanis nicht hereingeplatzt, hätten wir noch endlos weiterplaudern können. »Schluss jetzt!«, ruft er. »Charis darf sich nicht überanstrengen.«
»Besuch ist nicht anstrengend für mich, sondern unterhaltsam«, meint Tsolakis.
»Dein persönliches Empfinden und die Art, wie dein Organismus reagiert, sind zwei verschiedene Dinge.«
Ich würde auch noch gerne länger bleiben, aber Fanis’ Miene erinnert mich an sein Gesicht während meines eigenen Klinikaufenthalts, als er jeden meiner Versuche, seine Anweisungen zu unterlaufen, kompromisslos zurückwies.
Daher erhebe ich mich und verabschiede mich von Tsolakis.
»Kommen Sie wieder, wann immer Sie wollen«, meint Tsolakis und streckt mir die Hand mit der Kanüle entgegen. »Ich unterhalte mich sehr gerne mit Ihnen.«
»Was hat er denn genau?«, frage ich Fanis, als wir auf dem Flur stehen.
»Tja, kürzer wäre die Aufzählung dessen, was er nicht hat. Zunächst einmal hat er ein Problem mit seiner Leber. Und zusätzlich ist jetzt auch noch sein Immunsystem zusammengebrochen. Das führt zu häufigen Infektionen, die in eine Herzbeutelentzündung ausarten können. Aber die kann man bekämpfen. Es ist nicht einfach, aber man kriegt sie in den Griff. Er leidet aber an noch schlimmeren Dingen.«
»Und die wären?«
»Die vielen Anabolika haben seinen Körper geschwächt, und zwar nicht nur die Leber, sondern auch die Muskulatur. Schritt für Schritt tritt eine Muskellähmung ein.
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