Kostas Charistos 5 - Faule Kredite
mussten und die Demonstranten Auge in Auge mit uns skandierten: »Geeintes Volk ist freies Volk!« Und nun, fünfunddreißig Jahre später, stecken Bullen und Kommunisten in genau derselben Scheiße.
19
Vlassopoulos erwartet mich vor meiner Bürotür. Da er sonst nicht so diskret ist, ahne ich nichts Gutes.
»Sie haben Besuch«, sagt er anstelle einer Begrüßung.
»Wer ist es denn?«
»Sissimopoulos’ Sohn, er sitzt schon in Ihrem Büro.«
Ich bin so verdattert, dass ich ganz zu fragen vergesse, ob es der jüngere oder der ältere Bruder ist. Als ich ins Büro trete, wird klar, dass es sich um den jüngeren, Nick, handelt. Er ist nicht wie beim ersten Besuch mit britischer Noblesse gekleidet, sondern wie ein ausländischer Geschäftsreisender, den in Griechenland die Hitze überrascht hat: Er trägt eine dunkle Hose und ein helles langärmeliges Hemd, dessen Ärmel bis zum Ellenbogen hochgerollt sind.
Bei meinem Anblick springt er auf. »Haben Sie den armen Bill wirklich festgenommen?«, fragt er, wobei auch er die Begrüßung unter den Tisch fallen lässt.
»Zunächst einmal habe nicht ich ihn festgenommen, sondern die Antiterrorabteilung, Herr Sissimopoulos. Zweitens handelt es sich um keine reguläre Festnahme, sondern er befindet sich in polizeilichem Gewahrsam, um vernommen zu werden. Das heißt allerdings, dass Tatsachen vorliegen, die ihn belasten. Wie schwerwiegend die sind, weiß ich jedoch nicht. Aber ich bin sicher, dass Bill Okambas Rechte zu keinem Zeitpunkt verletzt wurden.«
Jeder Krämer lobt seine Ware, selbst wenn ein Teil davon vergammelt sein sollte.
»Und wieso will keiner diese belastenden Tatsachen genau benennen?«
»Haben Sie mit der Antiterrorabteilung gesprochen?«
»Ja, mit Herrn Stathakos persönlich. Ich wollte Bill sehen.«
»Und was hat er Ihnen gesagt?«
»Bis zum Abschluss der Vernehmungen darf ihn nicht einmal sein Anwalt sehen. Deshalb komme ich zu Ihnen«, sagt er fast flehentlich. »Vielleicht können Sie mir Näheres sagen.«
»Es tut mir leid, Herr Sissimopoulos, aber ich bin nicht an der Befragung beteiligt. Daher kann ich Ihnen gar nichts sagen.«
Bislang hat er seine guten Manieren gewahrt, doch nun bricht es aus ihm heraus: »Kommen Sie schon, Herr Kommissar! Bill ist ein friedlicher Bürger. Gegen ihn lag nie irgendetwas vor. Und diese mysteriösen Sachverhalte, die nun plötzlich von der griechischen Polizei entdeckt wurden, weisen doch in eine andere Richtung. Ihre Kollegen sehen drei Dinge: Er ist allein, er ist Ausländer, und er ist Schwarzer. Man sperrt ihn ein und nimmt ihn in die Mangel, um in bewährter Taktik etwas aus ihm herauszupressen.«
»Die griechische Polizei trägt nicht die alleinige Verantwortung«, sage ich. »Vergessen Sie nicht, dass zwei britische Ermittler an den Befragungen teilnehmen, einer von der britischen Terrorbekämpfung und einer vom M15. Und alles erfolgt unter deren Aufsicht. Warum fragen Sie nicht die beiden Briten?«
»John war bei Scotland Yard. Dort hat man ihm gesagt, die Beamten hätten nur eine symbolische Funktion und die Griechen seien allein für die Vernehmungen zuständig. Daher könnten sie ihm nichts sagen.«
»Ich kann Folgendes für Sie tun: Ich kann Sie zu Herrn Gikas, dem Leitenden Kriminaldirektor der Sicherheitspolizei Attika, bringen. Vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen.«
»Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Ihnen«, meint er eifrig. »Sie haben mir immerhin zugehört.«
Ich rufe Koula an, erkläre ihr, wer bei mir ist, und frage, ob Gikas uns empfangen könne. Sie schaut auf dem Terminkalender nach und gibt uns grünes Licht. Also fahren wir in die fünfte Etage hoch.
Gikas steht auf und schüttelt Sissimopoulos die Hand. Nachdem wir uns gesetzt haben, erstatte ich kurz Bericht, um ihn ins Bild zu setzen. Er hört mir wortlos zu und wendet sich dann an Nick.
»Herr Sissimopoulos, warum gedulden Sie sich nicht ein wenig, bis die Voruntersuchungen abgeschlossen sind? Wenn sich der Tatverdacht bestätigt, werden Sie es als Erster erfahren. Wenn nicht, dann ist Bill Okamba in ein paar Tagen ein freier Mann.«
»Sollte auch nur die kleinste Kleinigkeit gegen Bill vorliegen, was ich mir nicht vorstellen kann, werde ich den bekanntesten Strafverteidiger Griechenlands mit dem Fall betrauen. Ganz egal, was es kostet. Sie müssen verstehen, dass Bill nicht nur der Butler meines Vaters war. Wir kennen seine Familie seit zwanzig Jahren, und wir werden ihn nicht seinem Schicksal
Weitere Kostenlose Bücher