Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Bart ist mindestens drei Tage alt. Sein schütteres Haar steht am Scheitel hoch wie ein Hahnenkamm.
»Lassen Sie sich nicht von dem Eindruck einlullen, er sei alt und schwach«, sagt die dicke Altenpflegerin. »Sie ahnen nicht, mit welcher Meisterschaft er diesen Stock schwingt. Wie ein Samurai.«
Es kommt mir unwahrscheinlich vor, daß dieser kraftlose Alte Kostaras sein sollte, der unter den Regimegegnern der Junta Angst und Schrecken verbreitete. »Herr Kostaras«, sage ich sanft zu ihm, als ich bei ihm anlange.
Er hebt den Blick, der bislang am Boden klebte, und daran erkenne ich Kostaras wieder. »Du bist außer mir selbst der einzige, der sich noch an meinen Namen erinnert«, sagt er müde. »Meine ehemaligen Kollegen haben mich abgeschrieben, und die hier nennen mich Kotzbrocken.«
»Bei der Polizei war meine erste Stelle Gefangenenwärter in der Bouboulinas-Straße. Von dort kenne ich Sie. Ich brachte Ihnen immer die Häftlinge zum Verhör.«
Sein Blick leuchtet auf, und er blickt mich forschend an. »Hast du was gelernt? Ich habe euch blutige Anfänger dabehalten, damit ihr was lernt. Hast du was gelernt?«
»Heutzutage sind die Vernehmungsmethoden anders.«
»Weiß ich. Deshalb sitze ich ja auch hier«, entgegnet er trocken.
Die junge Altenpflegerin, die sich bald verloben will, tritt mit dem Medikamentenwagen ein. »Zeit für Ihre Medizin, Herr Kostaras.«
Da begreife ich, wovon die Dicke gesprochen hat. Kostaras erhebt den Stock mit für sein Alter bewundernswerter Geschicklichkeit, wirft ihn wie einen Speer und stoppt damit den heranrollenden Medikamentenwagen.
»Verschwinde!« herrscht er die Altenpflegerin an.
»Aber Sie müssen Ihre Medizin nehmen.«
Mit derselben bewundernswerten Geschicklichkeit steckt er den Stock unter die Stellfläche des Rollwagens und hämmert dagegen. Die Medikamente wirbeln durch die Luft auf den Boden.
»Zu Recht heißen Sie Kotzbrocken«, schreit die Pflegerin außer sich, läßt den Rollwagen stehen und läuft hinaus.
Kostaras' Lachen pfeift rhythmisch in seiner Brust. »Sie geben mir Medikamente, die mich schläfrig machen, damit ich völlig abstumpfe und sie ihre Ruhe haben. Aber ich bringe es immer noch fertig, ein Verhör höchsten Schwierigkeitsgrades mit drei Kommunisten gleichzeitig durchzuführen.«
Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, vielleicht aus Ärger, vielleicht weil ich es so viele Jahre verdrängt habe, aber nun sage ich zu ihm: »Ich habe Ihnen auch Sissis zum Verhör gebracht. Erinnern Sie sich an Sissis?«
Er antwortet nicht sofort. Wie es scheint, wühlt er in seinen Erinnerungen. Dann sagt er langsam: »Und ob ... Er war der einzige, dessen Stolz ich nicht brechen konnte. Was ich ihm auch antat, nichts fruchtete. Nicht ein einziges Mal hat er den Mund aufgemacht.«
»Oh doch! Er schrie und brüllte vor Schmerzen.«
Er wirft mir einen Blick voller Verachtung zu. »Nichts hast du gelernt. Er schrie nicht, weil er Schmerzen hatte. Er schrie, um durchzuhalten.« Er hält inne und fügt dann hinzu: »Er war unantastbar, sage ich dir. Hätte ich ihn nicht so sehr gehaßt, dann hätte ich mit ihm Kaffee getrunken.«
Anstelle der jungen Altenpflegerin, welche die Flucht ergriffen hat, wird nun schweres Geschütz aufgefahren. »Was höre ich da? Wir wollen unsere Medizin nicht nehmen?« sagt die Dicke zu Kostaras, während sie die Medikamente vom Boden aufsammelt und wieder auf den Rollwagen legt.
Kostaras wirft ihr einen haßerfüllten Blick zu. »Dich stecke ich in ein Faß mit eiskaltem Wasser und lasse dich ein paar Stunden einweichen«, sagt er.
»Sehe ich so aus, als würde ich in ein Faß reinpassen? Da mußt du erst mal warten, bis ich abgenommen habe«, entgegnet ihm die Dicke ruhig, während sie eine Pille aus ihrer Hülle drückt.
»Es gibt eine einfachere Methode. Ich stelle dich auf die Dachterrasse, führe dich ganz ans Ende der Häuserwand und schubse dich so weit nach vorne, bis du schwörst, daß du mit der Medizin nicht mehr wiederkommst.« Er lacht mir zufrieden zu. »Dieser Trick hat in der Bouboulinas-Straße immer gewirkt. Die meisten waren nicht schwindelfrei und flehten, ich sollte sie nicht zum Dachfirst führen. Aber unsere prächtigen Jungs ließen sie fast über dem Abgrund baumeln.«
Als Kostaras befriedigt auflacht, stürmt die Dicke auf ihn zu, packt mit der einen Hand seinen Unterkiefer, zwingt ihn, den Mund zu
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