Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
hier ausgetragen?« frage ich.
»Beach-Volleyball«, antwortet Vlassopoulos. »Hier war auch der Hafen für die Bootswettbewerbe.«
»Alles nur mehr Schall und Rauch«, kommentiert der Hauptwachtmeister aus dem Streifenwagen.
Im Gebäude mit den Umkleidekabinen und dem Materiallager herrscht dieselbe Tristesse. Die Regale wurden entweder aus der Verankerung gerissen, oder sie hängen windschief an den Wänden oder liegen auf dem Boden verstreut herum.
»Die Leute kommen hier rein und klauen die Regale«, erläutert der Hauptwachtmeister. »Und diejenigen, die sie nicht abmontieren können, bleiben dann schief hängen.«
»Wer klaut sie?«
Er zuckt mit den Schultern. »Kleingewerbetreibende, die für ihren Kramladen Regale brauchen. Albaner und Zigeuner, die alles Mögliche abmontieren, nach Hause schleppen oder weiterverkaufen. Anwohner, die Brennholz für ihren Kamin oder Gratismaterial fürs Heimwerken brauchen. Soll ich fortfahren?«
Er bleibt vor einem Raum stehen, dessen Eingangstür aus den Angeln gerissen wurde.
Mitten im Raum liegt ein durch ein Laken bedeckter menschlicher Körper. Vlassopoulos bückt sich und zieht das Laken zur Seite, um mir einen jungen Burschen um die fünfundzwanzig zu enthüllen: dunkelhaarig, mit langen Wimpern und einem Ohrstecker im rechten Ohr. Seine kurzen Haare, die in alle Himmelsrichtungen stehen, muß er mit einem Gel frisiert haben, denn sie glänzen immer noch. Er trägt ein T-Shirt und eine jener beigefarbenen Hosen, die wie kretische Pluderhosen aussehen und mit Taschen übersät sind.
In der Mitte der Stirn klafft ein Loch, garniert mit Schmauchspuren. Wenn es kein Selbstmord war, dann mit Sicherheit eine kaltblütige Erschießung.
»Hast du Handschuhe dabei?« frage ich Vlassopoulos.
Nachdem ich die Chirurgenhandschuhe, die er mir reicht, übergestreift habe, fasse ich dem jungen Mann an den Kopf und drehe ihn vorsichtig ein wenig nach links. Die Kugel ist aus dem Schädel getreten, doch der Zementboden ist sauber, ohne einen einzigen Tropfen Blut. Ich rücke den Kopf in seine Ausgangslage zurück und durchsuche die Hosentaschen. Nur zwei Zwanzig-Euro-Scheine kommen zum Vorschein, weder ein Handy noch ein Ausweis. Offenbar hat der Mörder alles mitgenommen, um uns auf Trab zu bringen.
»Sieh zu, daß du die Werbeagentur ausfindig machst, die den Spot mit ihm gedreht hat«, sage ich zu Vlassopoulos. Dann wende ich mich den Polizeibeamten zu. »Wann habt ihr ihn gefunden?«
»Heute morgen um sieben«, entgegnet der Fahrer. »Da der Olympische Sportkomplex nicht bewacht wird, fahren wir mit dem Streifenwagen morgens und abends vorbei und werfen einen Blick hinein. Normalerweise steigen wir nicht aus, sondern kontrollieren vom Wagen aus.«
»Und warum seid ihr heute ausgestiegen? Habt ihr was Auffälliges gesehen?«
Der Polizeibeamte blickt seinen Kollegen schweigend an. Der andere kriegt nur schwer den Mund auf.
»Ich bin ausgestiegen, um zu pinkeln«, sagt er schließlich. »Ich bin an die Hinterseite gegangen, damit mich keiner sieht. Und beim Pinkeln habe ich zufällig durchs Fenster geblickt und ihn da liegen sehen.«
Ich wende mich um und betrachte das Fenster, das genaugenommen ein viereckiger Mauerdurchbruch ist, denn der Fensterrahmen fehlt. Die Fragen kommen mir automatisch und mechanisch über die Lippen, weniger durch Nachdenken als durch langjährige Erfahrung.
»Habt ihr beide gestern abend auch Streifendienst gehabt?«
»Nein andere Kollegen. Aber die dürften nichts bemerkt haben, denn sie haben nichts gemeldet.«
»Was entweder bedeutet, die Leiche war nicht hier, oder, die Kollegen waren nicht pinkeln.«
Sie blicken woandershin und sagen nichts. Zu Vlassopoulos meine ich: »Hast du den Gerichtsmediziner benachrichtigt?«
»Sobald ich erfahren hatte, mit welchem Flug Sie ankommen.«
An die Besatzung des Streifenwagens gewendet sage ich: »Informiert eure Kollegen, die gestern abend Dienst hatten, daß ich sie sprechen möchte.«
Derjenige, der beim Pinkeln die Leiche entdeckt hat, ist erleichtert, endlich der peinlichen Befragung zu entfliehen, und stürmt zum Streifenwagen. Ich blicke mich um. Prodromos' und Sevastis deutsche Untermieter würden es wohl kaum glauben, daß an diesem Ort vor gerade mal zehn Monaten olympische Wettkämpfe ausgetragen wurden. Er wirkt so trist, als wäre er seit mehr als zwanzig Jahren verlassen und
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