Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
erlebt hatten. Sicher, die Terroristen waren vermummt und hielten ihre Geiseln mit Kalaschnikows in Schach, doch war bislang nur ein einziges Opfer zu beklagen; der bedauernswerte Albaner, der den Kopf für den Kosovo hinhalten mußte. Wir hatten es weder mit Bin Laden noch mit al-Qaida zu tun. Ohne den Mord an dem Albaner hätten sie sich unter sehr günstigen Voraussetzungen ergeben können. Die Frage war, ob sie ihre Drohung wahrmachen würden, jeden Tag eine ausländische Geisel zu erschießen. Möglicherweise war es nur leeres Gerede, vielleicht aber auch nicht. Auf der Suche nach Aufklärung in dieser Frage nahmen wir immer wieder Zuflucht zur Gemischtwarenhandlung des Fernsehens, stießen jedoch bloß auf importierte Analysen amerikanischer, englischer und deutscher Experten, die sich alle in einem Punkt einig waren: Die Ermordung eines oder mehrerer Passagiere würde dem internationalen Ansehen des Landes enormen Schaden zufügen. Das alles hörte ich mir vollkommen unbeeindruckt an. Auch was Zypern und Skopje betrifft, behaupten sie das seit Jahren, aber das Ansehen des Landes bleibt trotzdem stabil - entweder weil es dermaßen hoch ist, daß es durch nichts mehr erschüttert wird, oder weil es ohnehin dermaßen ramponiert ist, daß es schlimmer gar nicht mehr kommen kann.
Nun ist es zehn Uhr vormittags, und ich sitze in meinem Büro mit meinem Kaffee und meinem Croissant, das ich noch nicht aus seiner Zellophanhülle ausgepackt habe. Grund dafür sind die Lambropoulou und Skafidas, die Zahnärztin und der Bauingenieur, die eine Etage unter Koutsouvelos wohnen. Bevor ich aus dem Haus ging, wies ich Vlassopoulos an, sie telefonisch zu einer Vernehmung zu laden. Der Bauingenieur trägt einen Leinenanzug mit Krawatte und bringt den Mund nicht auf. Die Lambropoulou ist leger gekleidet, mit Turnschuhen, Jeans und T-Shirt und bringt den Mund nicht mehr zu, so daß man gierig auf eine Atempause zwischen zwei Sätzen wartet, um eine Frage dazwischenzuzwängen.
»Nun, seien wir mal ehrlich, Herr Kommissar, die arme Frau Stylianidi ist alt und allein. Da ist es ganz natürlich, daß sie alles und jeden beobachtet. Wie sollte sie sonst ihre Zeit totschlagen? Sie hat eine Tochter, die auf Zakynthos lebt. Ihr Mann arbeitet in leitender Position in irgendeiner Bank, kann sein auch beim Finanzamt oder in der Hafenbehörde, genau weiß ich es nicht. Ich habe ihr geraten, zu ihrer Tochter zu ziehen, doch der Schwiegersohn war anscheinend von der Idee wenig begeistert. Nebenbei verstehe ich ihn. Wenn man es mit jemandem zu tun hat, der tagaus, tagein wie ein Zerberus dasitzt -«
»Ich habe Sie nicht vorgeladen, damit Sie über Frau Stylianidi aussagen, sondern wegen Koutsouvelos«, beeile ich mich, ihr in Erinnerung zu rufen.
»Dazu komme ich ja gleich.«
Ich will schon fragen: »Wann endlich?«, doch ich schlucke die Bemerkung hinunter, da ich noch unentschlossen bin, ob ich in die Rolle des bösen Bullen schlüpfen soll.
»Seit dem Tag, als sie dahinterkam, daß Makis Koutsouvelos homosexuell war, hat ihr das keine Ruhe mehr gelassen.«
»Dora!« Skafidas versucht sie vergeblich zu bremsen.
»Laß nur, Jannis. Ich weiß, wovon ich rede. Den ganzen Tag lang befaßte sie sich mit Makis. Wann er heimkam, wann er ausging, was für eine Hose er anhatte und ob sie eng anliegend war, ob sein T-Shirt ärmellos war und ob er ein Goldkettchen um den Hals trug -«
»Hören Sie, Frau Lambropoulou«, unterbreche ich sie, während ich mich mit Müh und Not zu beherrschen versuche. »Eines ist klar und deutlich: Koutsouvelos ist nicht von Frau Stylianidi umgebracht worden. Folglich ist es für uns uninteressant, was sie so getrieben hat. Für Sie war es möglicherweise ärgerlich, daß sie am Fenster hing und alle belauerte. Für uns jedoch ist es außerordentlich hilfreich, denn sie hat uns einige Hinweise gegeben, die wir sonst nicht in Erfahrung gebracht hätten. Was ich von Ihnen und Herrn Skafidas wissen will, ist: Haben Sie in der letzten Zeit irgend etwas Auffälliges oder Verdächtiges in bezug auf Koutsouvelos beobachtet?«
Skafidas antwortet rasch, um seiner Frau zuvorzukommen. »Dora und ich sind fast nie zu Hause, Herr Kommissar. Sie hat ihre Zahnarztpraxis und ich meine Bauaufträge, daher sind wir den ganzen Tag außer Haus. Oft auch abends, da wir normalerweise auswärts essen.«
»Und während Ihrer Anwesenheit haben Sie nichts Auffälliges bemerkt?«
»Was denn
Weitere Kostenlose Bücher