Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
den onkologischen Abteilungen anfangt«, sage ich zu Vlassopoulos, der den Hörer abgenommen hat. »Das schränkt die Ermittlungen automatisch auf Thessaloniki ein. Ich glaube nicht, dass es in anderen staatlichen Krankenhäusern in der Provinz Krebskliniken gibt, und ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie nach Athen gefahren ist.«
Ich nehme ihm das Versprechen ab, sich gleich darum zu kümmern, und hoffe inständig, dass die Chambou tatsächlich zu einem Arzt gegangen ist. Andernfalls laufen wir Gefahr, dass die Frage unbeantwortet bleibt, auch wenn ich noch nicht recht abschätzen kann, welche Folgen das für die Ermittlungen hätte.
Ich beschließe, für heute Schluss zu machen, und gehe zur Rezeption hinunter, wo sich die ganze Reisegesellschaft für das Abschiedsabendessen versammelt hat. Und wieder einmal liegen sie sich in den Haaren. Die eine Hälfte will am Bosporusufer ein letztes Mal Pilaw essen gehen, die andere Hälfte will Pera mit dem Argument nicht verlassen, sie könnten am nächsten Morgen verschlafen und ihren Flug verpassen.
Adriani, die Mouratoglou und Despotopoulos sind die Einzigen, die am allgemeinen Disput nicht teilnehmen.
»Was ist los, Herr General?«, frage ich.
»Es mangelt an generalstabsmäßiger Planung, mein Lieber. Ich sehe zu meinem Leidwesen voraus, dass wir miserabel essen werden, da wir unkoordiniert vorgehen.«
»Warum übernehmen Sie es nicht, Ordnung zu schaffen? Sie sind doch ein Experte in generalstabsmäßiger Planung.«
»Ich habe ausgedient, Kommissar. Meine Autorität ist dahin, ich kann mich nicht einmal mehr beim Schoßhündchen meiner Frau durchsetzen. Wenn ich es Gassi führe, bin ich ihm willenlos ausgeliefert.«
»Darf ich einen Vorschlag machen? Wieso übertragen wir nicht Frau Mouratoglou das Kommando? Sie ist die Einzige, die sich vor Ort auskennt.«
»Hervorragende Idee«, sagt Despotopoulos und springt auf. »Ruhe, wenn ich bitten darf! Wir werden Frau Mouratoglou mit der Führung betrauen. Sie ist die einzige Geländekundige.«
»Seit wann wird uns Frau Mouratoglou als Oberfeldwebel vor die Nase gesetzt?«, nörgelt Stefanakos laut genug, um von den Umstehenden gehört zu werden.
Die Mouratoglou stellt sich taub, um kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen, und geht sogleich in medias res. »Ich schlage vor, in der Christakis-Passage essen zu gehen. Das war der historische Treffpunkt der kultivierten Trinker in Istanbul. Heute sind es natürlich Touristenkneipen, aber das Essen ist nach wie vor gut. Außerdem ist es nah und zu Fuß erreichbar.«
Alle sind einverstanden: die eine Hälfte, weil sie ohnehin in der Nähe bleiben wollten, und die andere Hälfte, weil sie nicht weiter herumstreiten, sondern essen gehen wollen.
Zehn Meter vom Hotel entfernt hängt sich Adriani bei mir ein und zieht mich zur Seite. »Katerina hat angerufen. Alles ist in bester Ordnung«, meint sie zufrieden. »Die Hochzeit findet am Sonntag in zwei Wochen statt, was wir locker schaffen. Sie hat drei Brautkleider ausgesucht, aber sie wartet auf meine Rückkehr, damit wir zusammen die endgültige Entscheidung treffen können.«
»Gut, dass sie nichts überstürzt«, sage ich ernsthaft. »In solchen Dingen holt man sich besser eine zweite Meinung ein.«
Sie tätschelt mir den Unterarm. »Alles wird gut«, sagt sie, von meiner Antwort offenbar befriedigt.
Auf halber Höhe der Pera-Straße betreten wir die Christakis-Passage. Tavernen flankieren beide Seiten der Arkaden, während eine Garde von Kellnern herbeieilt, um uns mit Bücklingen zu empfangen und in ihr jeweiliges Restaurant zu ziehen.
»He, Stelaras, wenn man diese unterwürfigen Purzelbäume der Kümmeltürken sieht, wundert man sich, wie sie uns bloß vierhundert Jahre unterjochen konnten«, erteilt Stefanakos seinem Sohn Geschichtsunterricht und ergänzt mit aufrichtiger Verwunderung: »Ja, waren wir denn so bescheuert?«
* 18
Gestern haben wir das Abschiedsabendessen hinter uns gebracht, heute sind wir im Morgengrauen aufgestanden, um die Abschiedsumarmungen zu absolvieren. Ich schlug vor, allen schon am Vorabend vor dem Schlafengehen eine gute Reise zu wünschen, doch Adriani hält sich so eisern an das Protokoll, dass selbst die frühere griechische Königin Friederike nichts auszusetzen gehabt hätte.
»Aber was redest du da? Wir müssen doch den Leuten anständig auf Wiedersehen sagen! Vielleicht sind sie uns ab
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