Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
mir wieder die Tränen kamen. »wo sollen wir denn hin? Wir müssen hier bleiben!«
Mit einer Geste bedeutete er mir, ich solle mich beruhigen, und sagte »Chut!«, was mich aber nur noch mehr aufregte, denn das t am Ende finde ich nervig, ich bin an unser sanfteres Hush! gewöhnt.
Und in diesem Augenblick erschien sie - wie aus dem Nichts.
Sie stand hinter mir in der Wohnzimmertür, nackt bis auf ein T-Shirt, und starrte uns an. Wie gern hätte ich dieses Kleidungsstück, das eigentlich mehr enthüllte als verhüllte, als zu lang und sackähnlich oder von mir aus einfach nur als unvorteilhaft beschrieben. Aber leider war es das nicht.
»Marc?«
Die Frau sprach leise, so leise, dass ich einen Moment dachte, ich hätte mich vielleicht verhört, sie wäre irgendwie in der falschen Wohnung gelandet, wäre vielleicht durch ein Fenster hier hereingeraten, obwohl die Wohnung sich im vierten Stock befand. Aber woher kannte sie den Namen meines Mannes?
»Marc?« Doch jetzt bestand kein Zweifel mehr. »Qui c'est, Marc?«
Was ich an französischen Frauen am meisten hasse, ist, allgemein gesagt, ihre Zierlichkeit. Wenn sie auf ihre sanft plätschernde Art etwas murmeln, ähneln sie zwitschernden Vögelchen. Aber sie sind - und das ärgert mich ganz furchtbar - zwitschernde Vögelchen mit Kurven. Trotz ihrer streichholzdünnen Hand- und Fußgelenke und der Pumps in Größe sechsunddreißigeinhalb haben sie Busen, Po und Hüften vorzuweisen. Wahrscheinlich erklärt sich damit das Wort »vögeln«, wenn ich es mir richtig überlege. Und die blonden Ringellocken beeinträchtigten in diesem speziellen Fall das typische Erscheinungsbild einer Französin überhaupt nicht.
Ich hatte keine Ahnung, wer die Frau war, hatte sie noch nie gesehen, auch damals nicht.
Marc jedoch kannte sie nur zu gut.
Er meint, ich soll es offen und ehrlich erzählen. Aber ich kann nur auf meine Weise davon berichten - wie ich es empfunden habe. Er kann es meinetwegen erzählen, wie er will, bis er schwarz wird, aber das wird nichts an der Tatsache ändern, dass er es mir damals schon hätte sagen müssen, offen und ehrlich.
Es war natürlich Frédérique, seine angebliche Ex, die allerdings weniger »Ex« war, als er mich immer hatte glauben machen.
Doch, ich hatte sie wohl schon einmal gesehen. Kurz nachdem ich mit Marc zusammengezogen war, hatte ich ein Foto von ihr gefunden. Es lag in einem alten Koffer am Fußende seines Bettes in einem Umschlag versteckt, ganz unten unter einem Stapel Bettwäsche. Inzwischen könnte ich einfach behaupten, ich hätte bloß das Bett frisch beziehen wollen und das Foto sei mir zufällig in die Hände gefallen, aber was soll's.
Sie lag auf einer Decke unter einem Baum, mit geschlossenen Augen, so als schliefe sie. Doch aus ihrer aufreizend sinnlichen Haltung schloss ich, dass sie hellwach war. Sie lag ausgestreckt auf der Seite, als wäre sie mitten im Flug gewichtslos gelandet, ein Bein träge über das andere geschlagen, sodass die Rundung ihrer Pobacke betont wurde; es war ein perfekter Po, ohne jedes Grübchen. Die Füßchen hatte sie so »natürlich« ausgestreckt wie eine Balletttänzerin, die Arme gereckt wie die Primaballerina in Schwanensee - ihre Haltung war bis ins Kleinste choreografiert. Der Rock war hochgeflogen, vielleicht vom Wind, oder hatte Marc mit der Hand nachgeholfen? Jedenfalls war der Rock oben.
Nein, von Unterwäsche hielt diese Frau wahrhaftig nicht viel.
9
I ch erinnere mich noch an den Abend, als wir unser erstes richtiges Date hatten. Ich wollte mich nach der Arbeit am Eingang der Metrostation Saint-Germain-des-Prés mit Marc treffen und kam zu spät. Er wartete bereits auf mich; durch den Regen blinzelnd, stand er an der Ecke - an dieser ganz besonderen Ecke mit der Kirche Saint-Germain-des-Prés, wo Sartre und Simone de Beauvoir auch mal gestanden hatten, auf demselben Pflaster. Ich drückte seinen Arm, den nassen Jackenärmel, und ließ meine Hand zu seiner hinuntergleiten. Mit dem Mund berührte ich seine Wange, kostete seine feuchte Haut, schmeckte den Regen auf seinen und auf meinen Lippen, als er unter meinem Schirm meinen Kuss erwiderte. Die Erregung, als seine warme, feuchte Hand in meine glitt ...
Wir hatten uns gegenüber im Café Les Deux Magots in eine Ecke gesetzt, wo seine Augen im sepiabraunen Licht schimmerten, hatten beide Tarte Tatin und une coupe de champagne bestellt und die goldenen Bläschen beobachtet, die in unseren Kelchgläsern aufstiegen,
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