Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
die Ecke des Wohnzimmers.
»Und womit sollen wir noch mal anfangen, Marc? Wir haben gar nichts mehr - keinen Charlie, kein Vertrauen, nichts. Sogar meine Freundin -« Meine Stimme zittert gefährlich, als wolle sie brechen, mir läuft die Nase, und ich habe kein Taschentuch. Ich wische mit dem Handrücken. »Putz dir die Nase«, habe ich immer zu Charlie gesagt.
»Wir haben immerhin uns, Annie.« Seine Stimme klingt sanft, bittend. »Damit können wir doch wieder anfangen, non ?«
»Nein!« Ich schüttele den Kopf. Aber es hat keinen Sinn, ich kann die Tränen nicht aufhalten. »Nein, wir können nicht zurück, wir können die Uhr nicht zurückdrehen.«
Marc schlägt mit der Faust auf den Tisch, sodass die Kaffeetassen auf der Marmorplatte klirren und mein Herz heftig zu klopfen beginnt. »Mais, t'es sérieuse, Annie? Wir sind doch zurückgegangen. Zurück zu unserer Anfangszeit. Wir können jetzt wieder von vorn beginnen!«
Ich möchte ins Bett kriechen und mich zudecken. Mir ist kalt. Zitternd sehe ich ihn an. »womit sollen wir denn von vorn beginnen, Marc?«
Er streckt die Hände aus, reibt meine Unterarme. »Mais toi et moi ... mit dir und mir natürlich!«
›Mit dir und mir?« mühsam versuche ich aufzustehen, aber er hält mich an den Armen fest. »Was ist mit Beattie, Marc? Und mit Carlo und -«
»Nein, Annie! Non, nur du, ich ... und Charlie.« Marc schaut mir in die Augen. Er hält mich immer noch fest, aber ich wehre mich dagegen.
»Nein, Marc, nein!«
Sein Stuhl rutscht kreischend über die Fliesen, als er ihn zurückstößt. Er lässt mich los. »Was meinst du mit ›nein‹?«
Müde rapple ich mich vom Tisch hoch. »Nein, ich glaube dir nicht, meine ich damit!« Ich komme mir viel, viel älter vor als die junge Frau, die heute Morgen hier herausgeschlichen ist, älter, als ich mich je gefühlt habe - dieser junge Körper ist bloß eine Hülle, als ich jetzt in den Flur hinaustrete. »Ich habe kein Vertrauen mehr zu dir, Marc.«
»Was machst du? Tu vas où?«, ruft er mir nach.
Ich muss ein paar Sachen zusammenpacken, denke ich. Ich muss gehen. Und mir wird bewusst, dass ich das schon vor langer Zeit hätte tun sollen.
Meine Sporttasche steht noch da, wo ich sie heute Morgen abgesetzt habe, voller Krempel, den ich nicht mitnehmen will. Aber ich bin so unsäglich müde, und ich kann vor Tränen kaum sehen. Langsam sinke ich zu Boden; im Schneidersitz setze ich mich neben die Tasche. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.
»Du musst mir die Chance geben, dir zu beweisen, dass es diesmal anders wird.« Marc ist mir in den Flur gefolgt. »Wir müssen es versuchen, Annie!«
Ich sehe nicht zu ihm auf.
»Annie, bitte.« Seine Stimme bebt. »On ne peut pas faire une omelette sans casser des œufs.«
Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen? Seltsam, dass er das gerade jetzt sagt. Früher hatte meine Großmutter dieses Bild immer verwendet, allerdings in ganz anderem Zusammenhang. »Du musst Risiken eingehen, Annie. Du musst Eier zerschlagen ... Kein Bedauern, kein Blick zurück.«
»Stimmt«, sage ich. »Aber es hat keinen Sinn, ein Omelett zu machen, wenn die Eier faul sind.«
»Faul?«
»Pourris, Marc«, übersetze ich, frustriert, dass ich es ihm erklären muss. »Des œufs pourris!«
»Warum drehst du mir die Worte im Mund um?«
Mit bebenden Händen durchwühle ich meine Sachen - Dinge, die ich mitnehmen, hierlassen oder wegwerfen will. Ich besitze jetzt nichts mehr. Mein Leben, meine Vergangenheit und meine Zukunft sind auf diese unordentliche Tasche zusammengeschrumpft. Carlos Zettel fällt mir in den Schoß, die erste Nachricht, die er mir geschrieben hat: »Gehen Sie mit mir essen?« Meine Mutter hatte recht, denke ich, als ich das Papier in winzige Fetzen zerreiße. Wie Konfetti flattert das Andenken an meine große Liebe zu Boden. Was war ich doch für ein junges Dummchen! Es ist genauso, wie sie immer gesagt hat: »Alles romantischer Quatsch und nichts dahinter.« Ich werde nur das Lebensnotwendige mitnehmen. Ich will bei null anfangen.
»Tu te rends compte alors? Dir ist klar, was das bedeutet, Annie?«
Ich schaue hoch. Marc kann mir jetzt nicht mehr wehtun, denn ich habe ja schon alles verloren. Doch ich irre mich.
»Das bedeutet: kein Charlie.«
Ich spüre, wie das Blut in mir aufsteigt, in den Hals, ins Gesicht, wie es in meinen Schläfen pocht, in meinen Lippen brennt. »Soll das eine Drohung sein, Marc?« ich kann diese Worte nur flüstern. Mein
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