Kottenforst
Gleichzeitig klirrte etwas, als ob sie eine Tasse auf die Untertasse stellte, und ihr undeutliches »Hallo« klang, als hätte sie ein halbes Brötchen zwischen den Zähnen.
»Morgen, Rita, du frühstückst wohl gerade, entschuldige –«
»Meldest du disch och emol widde?«
Die Kombination aus Bönnsch und Brötchen war für Pilar schwierig zu verstehen.
»Rita, ich hab eine Frage.«
»Hürens, Pilar, dä janze fiese Traatsch hässe net verdient! De Löck senn övvejeschnapp, knattschvedötsch senn die!«
»Danke, Rita. Ich bin ziemlich kaputt davon.«
»Datt jeet vorbei.«
»Weißt du, wo mein gelber Handwerkskasten am Samstag abgeblieben ist?«
»Am Samsdaach?«
»In den Kasten hatte ich das Messer gelegt, das mit dem roten Griff.«
»Wänn du datt sähs, Pilar.«
»Ist dir der Kasten irgendwo aufgefallen? Im Saal oder im Flur?«
»Weeste net, watt isch ömm de Ohren hatte?« Ritas Stimme schwoll zu einem unangenehmen Crescendo an. »Die Küsterin, die datt metmaache deet, die kannste dir ävve söke!«
Unmöglich, jetzt zu fragen, ob Rita das Messer jemandem gegeben hatte. Sie wäre zutiefst beleidigt.
»Fragst du mal bitte den Dieter?«
Im Hintergrund vernahm Pilar ein Raunen. Dann sagte die Küsterin:
»Jo, däe Kasten hätte jesehn, sääte.«
»Und wo?«
»Datt wor, sääte, wie du met däm Krepppapier dran am bastele worst.«
Sackgasse. Mit dem Krepppapier hatte sie zuletzt am Freitag gearbeitet. Pilar bedankte sich und legte auf. Dieter, der aus Bremen stammte, hatte sich vermutlich anders ausgedrückt. Sie erinnerte sich an Ritas Erzählung, wie sie ihren Mann kennengelernt hatte – im Karneval, als ein Quartett betrunkener Frauen nicht aufhörte, den widerstrebenden Norddeutschen heftig zu bützen , bis Rita ihm mit bönnschen Wortsalven zu Hilfe kam und ihn erlöste.
Pilar trat ans Küchenfenster und blickte hinaus. Die schmale Straße lag ruhig im Sonnenlicht. Es waren kaum noch Blätter an den Bäumen, und die letzten, die vereinzelt an den Ästen zitterten, leuchteten nicht mehr wie vor ein paar Tagen, sondern sahen mit ihrem stumpfen Braun kaum schöner aus als der Blättermatsch am Boden, den sie endlich wegfegen musste, bevor noch jemand darauf ausrutschte. Ich kehre später, entschied Pilar. Erst mal Kaffee kochen, oder nein, erst Richy im Büro anrufen.
»Pilar, mein Schatz«, sagte Richard mit seiner warmen Bassstimme, nachdem Pilar ihm von den beiden Telefonaten berichtet hatte. »Denk doch an das Nächstliegende.«
Pilar dachte an das für sie Nächstliegende, und das war, was sie schon die ganze Zeit über gedacht hatte: Irgendwer hatte ihren Handwerkskasten aus dem Raum hinter der Bühne geholt.
»Du hast die Kiste woanders hingestellt, Pilar.«
»Nein, Richy.«
»Überleg mal, wie oft du gesagt hast, du hättest das Telefon auf die Ladestation gestellt! Und wo war es? Im Keller auf der Waschmaschine, im Gras hinter der Gartenbank, im Kühlschrank neben der Wurst …«
»So ein Kasten ist kein mobiles Telefon.«
»Oder nehmen wir deine Handtasche: Wie oft hast du steif und fest behauptet, sie stehe auf der Kommode? Und wo habe ich sie dann gefunden? Im Schuhregal, im Gäste- WC , auf dem Autodach –«
Sie legte auf. Diese Geste der Hilflosigkeit war ihr selbst verhasst. Aber sie war so enttäuscht! Sie hatte sich ein handfestes Argument gegen ihre Ahnungen und Vermutungen erhofft, und nun kamen nur diese Vergleiche, die sie wieder klein und schusselig machten. Diese blöden Vorurteile.
Als sie das Telefon auf die Ladestation stellen wollte, erklang die »Marcha Real«.
»Hallo«, sagte Pilar müde.
»Ahrbrück hier. Frau Álvarez-Scholz, können Sie sich mit uns im Gemeindehaus treffen? Ich habe mich mit meinem Kollegen beraten. Wir wollen noch mal an Ort und Stelle sehen, wie das mit Ihrem Handwerkskasten war. In einer Stunde, geht das?«
»Ich komme«, erwiderte Pilar.
Nehmen sie die Kastenfrage also doch ernst, dachte sie zufrieden, nachdem die Kommissarin aufgelegt hatte. In einer Stunde, gut! Sie musste den Beamten auch mitteilen, was sie gestern Abend erlebt hatte. Das Verhalten des Mannes war mehr als merkwürdig gewesen, und der aufgeschlitzte Reifen lag noch im Kofferraum.
Pilar nahm die Packung mit den Filtertüten und die Kaffeedose aus dem Regal. Mit dem Auto würde sie bis zum Gemeindehaus keine zehn Minuten brauchen, sie konnte noch in Ruhe frühstücken.
Ein Geräusch auf der Straße ließ sie wieder aus dem Fenster schauen. Mit Getöse
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