Kottenforst
weiteres Beispiel für die unvorstellbare Grausamkeit, zu der Menschen gegenüber Tieren fähig waren! Zwei ältere Hundebesitzerinnen und ein jüngerer Mann mit einem weißen Kätzchen ereiferten sich heftig, während das Zwergkaninchen bereits ins Sprechzimmer gebeten wurde.
Goethe hatte sich in den hinteren Teil seines Käfigs verzogen. Seine Augen waren weit geöffnet, seine Schnurrhaare zitterten leicht. Als es erneut »Der Nächste, bitte« hieß, ließen die Damen ihm den Vortritt, da der Pudel und der Terrier nur zum Impfen angemeldet waren.
Eine Viertelstunde später verließ Pilar das Sprechzimmer. Langsam, gedrückt und ohne die Box.
»Ist er«, die Lippen der Pudelbesitzerin bebten, »eingeschläfert?«
»Nicht mehr zu retten?«, flüsterte die Besitzerin des Terriers.
»Das Hinterbein …« Pilar versagte die Stimme. Ihr wunderschöner, prachtvoller Kater … Sie ärgerte sich, weil sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste. Es war doch nur eine Katze. Richy würde ihr vorhalten, dass es Menschen gab, denen irgendein Heini das Kind totgefahren hatte.
»Der größte Teil muss amputiert werden.«
Die Besitzerin des Terriers reichte ihr ein Taschentuch. »Dass es solche Verbrecher gibt … Sehen eine Katze über die Straße laufen und geben mit Absicht Gas.«
Pilars Zorn loderte auf. Mit Absicht – natürlich! Da hatte einer sie persönlich treffen wollen, indem er ihren Kater überfuhr. Das war noch leichter, als den Tratsch anzuheizen.
»Haben Sie gesehen, wer am Steuer saß?«, fragte die Pudelfrau.
»Ein junger Mann vielleicht …« Pilar überlegte. Meistens waren es junge Männer, die auf der geraden Strecke vor der Ecke Gas gaben. Aber diesmal hatte sich die Sonne in den Scheiben gespiegelt, sodass sie von dem Fahrer fast nichts gesehen hatte. Möglicherweise hatte ein älterer Mann am Steuer gesessen oder eine Frau.
»Was für ein Auto war es?«
»Ein VW Golf oder so was Ähnliches, silbergrau.«
Pilar stand in der Tür des Wartezimmers, schon dem Ausgang zugewandt, kaum in der Lage, einen weiteren Schritt in die böse Welt dort draußen zu tun. Die Frauen dachten bloß an irgendeinen Katzenhasser, aber sie dachte weiter.
»Also, ich«, sagte die Frau mit dem Terrier, »würde nicht eher ruhen, bis ich den Verbrecher gestellt hätte.«
Der Besitzer der Katze nickte. »Es muss doch einer den Wagen gesehen haben, der Briefträger oder ein Nachbar, irgendwer.«
»Ich würde dem die Hölle heiß machen!« Der Terrier hechelte zu den Worten seiner Herrin, als ob er sich ausmalte, wie er den Katzenhasser durch die Straßen hetzte, bis er dessen Hintern zwischen den Zähnen hätte, die weiß und leistungsfähig neben seiner langen Zunge leuchteten. »Der Kerl könnte sich in unserem Viertel nicht mehr blicken lassen.«
Ich kann mich selbst kaum noch blicken lassen, dachte Pilar und schaffte es schließlich, die Füße über die Schwelle nach draußen zu setzen. Den Kater sollte sie am späten Nachmittag abholen, wenn er aus der Narkose erwacht war. Ihr schöner Kater würde nur noch humpelnd durch die Gegend laufen, nicht mehr auf Bäume klettern, vielleicht nicht einmal auf die Fensterbank springen können.
Der Himmel hatte sich in ein bleigraues Tuch verwandelt. Schnee fiel in dicken Flocken. Früh dieses Jahr. Hecken, Mauern und Autos waren bereits von einer dünnen weißen Schicht bedeckt. Pilar fuhr zum Reifendienst in den Bonner Norden und ließ einen neuen Winterreifen aufziehen. Während sie in dem zugigen Hof wartete, hörte es auf zu schneien. Die weiße Schicht verwandelte sich in triefende Nässe.
Nachdem der Reifen montiert war, hätte sie sofort nach Hause fahren können. Aber sie war unruhig, sie dachte ständig an den kleinen Körper auf dem OP -Tisch des Tierarztes und an das schwarzbraune Beinchen, das im Abfall landen würde. Sie entschied sich für einen Umweg über die westlichen Vororte Dransdorf, Lessenich, Duisdorf, machte einen Abstecher ins Vorgebirge, fuhr in nördlicher Richtung weiter, bis ihr der Kölner Dom sehr nah vorkam, und kehrte schließlich über die Autobahn nach Bonn zurück. Es war ihr ganz recht, dass sie in den mittäglichen Freitagsverkehr geriet und für längere Zeit im Stau stand.
Als Pilar endlich Ückesdorf erreichte, war sie immer noch nicht in der Stimmung, nach Hause zurückzukehren. Um halbwegs wieder in seelisches Gleichgewicht zu kommen, brauchte sie noch einen Umweg durch die Straßen mit den ansehnlichen
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