Krabat (German Edition)
Fremden zunickt: aber die Hühner, die sie zu füttern hatte, waren ihr zehnmal wichtiger.
Unter dem Hühnervolk tat sich ein schöner, rotbunter Gockel hervor, der eifrig zu ihren Füßen die Körner aufpickte: den beneidete Krabat in diesem Augenblick sehr und wäre es möglich gewesen, so hätte er auf der Stelle mit ihm getauscht.
Der Herbst zog sich diesmal lang hin, unwirtlich, kühl und grau, mit viel Nebel und Regen. Sie nutzten die wenigen Tage, an denen es halbwegs trocken war, um den Wintertorf einzufahren. Die übrige Zeit verbrachten sie in der Mühle, in Scheune und Stall, auf dem Schüttboden oder im Schuppen. Jeder war froh, wenn er eine Arbeit hatte, bei der er nicht in den Regen hinausmusste.
Witko war seit dem Frühjahr beträchtlich gewachsen, doch weiterhin dürr geblieben.
»Wir sollten ihm einen Ziegelstein auf den Kopf legen«, meinte Andrusch, »sonst wächst er uns noch davon!« Und Staschko schlug vor, ihn zu mästen wie eine Martinsgans, »weil er Speck auf die Rippen braucht und mehr Fleisch an den Hintern, damit er nicht aussieht wie eine Krautscheuche!«
Neuerdings zeigte sich auch bei Witko an Kinn und Oberlippe der erste Flaum: fuchsrot, versteht sich. Witko schenkte dem allen keine Beachtung, Krabat dafür umso mehr. Er konnte an Witko beobachten, wie es war, wenn ein Junge in einem Jahr um das Dreifache älter wurde.
Der erste Schnee fiel in diesem Jahre in der Andreasnacht, reichlich spät also. Wieder kam nun die große Unruhe über die Mühlknappen auf der Mühle im Koselbruch, wieder wurden sie wortkarg und unverträglich. Beim nichtigsten Anlass brachen sie Streit vom Zaun. Die Tage, an denen nicht mindestens einer im Zorn mit den Fäusten auf einen anderen losging, wurden von Woche zu Woche seltener.
Krabat erinnerte sich des Gesprächs mit Tonda, das sie im Vorjahr um diese Zeit geführt hatten: War den Burschen auch diesmal die Angst in die Knochen gefahren, weil einem von ihnen der Tod bevorstand?
Dass der Gedanke ihm nicht schon früher gekommen war! Immerhin kannte er ja den Wüsten Plan und die Zeile der flachen Hügel: sieben waren es oder acht – oder mehr noch, er hatte sie nicht gezählt. Nun verstand er die Angst der Burschen, nun teilte er sie. Jeder von ihnen, mit Ausnahme Witkos vielleicht, konnte in diesem Jahr an der Reihe sein. Aber wer? Und warum nur?
Krabat getraute sich keinen der Mitgesellen danach zu fragen, auch Michal nicht.
Öfter als sonst zog er Tondas Messer hervor, ließ es aufschnappen, prüfte die Klinge. Die Klinge war blank und sie blieb es auch. Er also, Krabat, schien außer Gefahr zu sein – aber schon morgen konnte sich das geändert haben.
Im Holzschuppen stand ein Sarg bereit. Krabat entdeckte ihn zufällig, als er am Tag vor dem Heiligen Abend um Holz ging. Der Sarg war mit einem Stück Wagenplane zugedeckt. Krabat hätte ihn kaum beachtet, wäre er nicht im Vorbeigehen mit dem Schienbein dagegengestoßen.
Wer hatte den Sarg gezimmert? Seit wann stand er hier bereit – und für wen wohl?
Die Frage ließ Krabat nicht los. Sie beschäftigte ihn für den Rest des Tages, bis in den Traum hinein.
Krabat hat einen Sarg gefunden, im Holzschuppen: einen Fichtensarg, der mit einem Stück Wagenplane bedeckt ist. Vorsichtig öffnet Krabat den Sarg und wirft einen Blick hinein – er ist leer.
Da beschließt er, den Sarg zu zerschlagen. Er findet es unerträglich, dass er da steht und auf jemand wartet, der Sarg.
Mit dem Handbeil macht Krabat sich an die Arbeit. Er trennt die Bretter, er spaltet sie auf, von oben bis unten, so oft es geht. Dann zerhackt er sie noch zu handlichen kleinen Scheiten, die will er in einen Korb packen, um sie Juro zu bringen, der soll sie ins Feuer schüren.
Wie er sich aber umschaut nach einem Korb, macht es klapp! – und der Sarg hat sich wieder zusammengesetzt, er ist heil und ganz.
Da geht Krabat zum zweiten Mal mit dem Beil auf ihn los und macht Kleinholz daraus. Doch kaum ist er damit fertig, da macht es klapp! – und der Sarg ist ganz.
Krabat versucht es ein drittes Mal, voller Wut nun. Er hackt und hackt, dass die Späne fliegen, bis alles zu einem Haufen winziger Splitter zerdroschen ist – aber was nützt es ihm? Klapp!, steht der Sarg wieder da, ohne Riss und Schramme: er wartet auf den, der ihm sicher ist.
Vom Grauen gepackt, rennt Krabat hinaus in den Koselbruch. Schnee fällt in dichtem Gestöber und nimmt ihm die Sicht. Krabat weiß nicht, wohin er rennt. Er
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