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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
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hat Angst, dass der Sarg ihn verfolgen könnte. Nach einiger Zeit bleibt er stehen und horcht zurück.
    Kein Klappern auf hölzernen Füßen – kein hohles Gepolter, wie er’s befürchtet hat  … Dafür wenige Schritte vor ihm: ein Knirschen und Scharren, als grabe da jemand im Sand, und der Sand scheint gefroren zu sein.
    Krabat folgt dem Geräusch, er gelangt auf den Wüsten Plan. Im Schneetreiben nimmt er eine Gestalt wahr, die eine Grube aushebt, mit Hacke und Schaufel, am oberen Ende der Hügelreihe, nahe dem Waldrand – dort, wo im Sommer die überzählige Kuckucksblume zu Boden gefallen ist. Krabat glaubt die Gestalt zu kennen. Er weiß, dass er einen der Müllerburschen vor sich hat – welchen, vermag er im Schneegestöber nicht auszumachen.
    »He!«, will er rufen. »Wer bist du?«
    Die Stimme versagt ihm, er bringt keinen Ton hervor. Und es ist ihm nicht möglich, einen Schritt weiterzugehen. Er steht an dem Platz, wo er steht. Die Füße sind festgefroren am Boden, er kriegt sie nicht frei.
    »Verflucht!«, denkt er. »Bin ich lahm geworden? – Ich muss die paar Schritte gehen  … ich muss  … ich muss  … «
    Der Schweiß bricht ihm aus, er nimmt seine letzte Kraft zusammen. Die Füße gehorchen ihm nicht. Er kann tun, was er will: er kommt nicht vom Boden weg.
    Und es schneit und es schneit – und es schneit ihn allmählich ein  …
     
    Krabat erwachte in Schweiß gebadet. Er warf die Decke weg, riss sich das dampfende Hemd vom Leibe. Dann trat er ans Bodenfenster und blickte hinaus.
    Der Weihnachtsmorgen war angebrochen, es hatte geschneit in der heiligen Nacht – und er sah eine frische Fußspur, die führte zum Koselbruch.
    Als er zum Brunnen ging, um sich zu waschen, kam Michal des Weges: mit Hacke und Schaufel. Gebückt ging er, schleppenden Schrittes, fahl im Gesicht. Als Krabat ihn ansprechen wollte, winkte er ab. Sie verstanden sich, ohne dass zwischen ihnen ein Wort fiel.
    Seither war Michal wie umgewandelt. Er schloss sich von Krabat und allen anderen ab, selbst von Merten. Wie eine Wand stand es zwischen ihnen und ihm, als sei er schon weit entrückt.
    So kam der Silvesterabend heran.
    Der Meister war seit dem Morgen verschwunden, er zeigte sich nicht. Die Nacht brach herein, die Mühlknappen gingen zu Bett.
    Krabat, obgleich er beschlossen hatte, sich wach zu halten, schlief ein wie die anderen auch. Um Mitternacht wurde er wach und begann zu lauschen.
    Ein dumpfes Gepolter im Haus – und ein Schrei – und dann Stille.
    Merten, der Bär mit den breiten Schultern, begann wie ein Kind zu schluchzen.
    Krabat zog sich die Decke über die Ohren, verkrallte die Finger im Strohsack und wünschte sich tot zu sein.
     
    Am Neujahrsmorgen fanden sie Michal. Er lag in der Mehlkammer auf dem Boden, der Wiegebalken war von der Decke gefallen, er hatte ihm das Genick zerschlagen. Sie legten ihn auf ein Brett und trugen ihn in die Gesindestube, dort nahmen sie Abschied von ihm.
    Juro versorgte ihn, zog ihm die Kleider aus, wusch ihn und bettete ihn in den Fichtensarg, ein Strohbündel unterm Nacken. Am Nachmittag trugen sie ihn hinaus auf den Wüsten Plan. Sie senkten ihn in die Grube am oberen Ende der Hügelreihe, nahe dem Waldrand.
    Hastig begruben sie ihn, keinen Augenblick länger als nötig verweilten die Burschen an seinem Grab.
    Merten allein blieb zurück.



 
    Der Meister blieb während der nächsten Tage verschwunden, in dieser Zeit stand die Mühle still. Die Mühlknappen lungerten auf den Pritschen herum, sie hockten am warmen Ofen. Hatte es einen Gesellen, der Michal hieß, auf der Mühle im Koselbruch je gegeben? Selbst Merten sprach nicht von ihm, von früh bis spät saß er da und schwieg. Ein einziges Mal nur, am Abend des Neujahrstages, als Juro die Kleider des Toten gebracht und am Fußende der verwaisten Pritsche niedergelegt hatte, war er aus der Starre erwacht. Er war in die Scheune gelaufen und hatte sich bis zum anderen Morgen im Heu verkrochen. Seither verhielt er sich völlig teilnahmslos, sah nichts und hörte nichts, sagte und tat nichts – er saß bloß da.
    Krabats Gedanken kreisten in diesen Tagen stets um die gleiche quälende Frage. Tonda und Michal, das schien auf der Hand zu liegen, hatten nicht zufällig sterben müssen, beide in der Silvesternacht. Welches Spiel wurde da gespielt – und von wem und nach welchen Regeln?
    Der Müller blieb außer Haus bis zum Vorabend des Dreikönigstages.
    Witko wollte gerade das Licht

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