Krabat (German Edition)
Kerze und abermals stutzte Juro den Docht zurück.
»Eines begreife ich nicht«, sagte Krabat nach langem Schweigen. »Warum hat kein anderer je versucht, diesen Weg zu gehen?«
»Die meisten«, erwiderte Juro, »kennen ihn nicht – und die wenigen, die Bescheid wissen, hoffen von Jahr zu Jahr, dass sie ungeschoren davonkommen: Wir sind zwölf und es trifft ja nur einen in jeder Silvesternacht. Außerdem ist da noch was im Spiel, was du wissen solltest. Gesetzt, dass ein Mädchen die Probe besteht und der Meister wird überwunden, dann ist es im Augenblick seines Todes um alles geschehen, was er uns je gelehrt hat: dann sind wir mit einem Schlag weiter nichts als gewöhnliche Müllerburschen – und aus ist’s mit aller Zauberei.«
»Wäre das nicht der Fall, wenn der Meister auf andere Weise zu Tode käme?«
»Nein«, sagte Juro. »Und dies ist ein weiterer Grund für die wenigen Eingeweihten, alljährlich den Tod eines Mitgesellen in Kauf zu nehmen.«
»Und du?«, fragte Krabat. »Du selber hast auch nichts dagegen getan?«
»Weil ich mich nicht getraut habe«, sagte Juro. »Und weil ich kein Mädchen hab, das mich freibitten käme.«
Er spielte mit beiden Händen am Kerzenleuchter, indem er ihn auf der Tischplatte hin und her drehte, langsam und prüfend, als wollte er etwas Bestimmtes dabei herausfinden, das für ihn wichtig war.
»Dass wir uns recht verstehen«, meinte er schließlich. »Noch brauchst du dich nicht zu entscheiden, Krabat, nicht endgültig. Doch wir sollten schon jetzt damit anfangen, alles zu tun, was in unserer Kraft steht, um vorzusorgen, dass du dem Mädchen die Probe notfalls erleichtern kannst.«
»Aber das kann ich doch!«, sagte Krabat. »Ich werde ihr in Gedanken das Nötige zu verstehen geben – das geht doch, das haben wir ja gelernt!«
»Das geht nicht«, widersprach ihm Juro.
»Nein?«
»Weil der Meister die Macht hat, das zu verhindern. Er hat es bei Janko getan – und er wird es auch diesmal tun, da besteht kein Zweifel.«
»Was dann?«, fragte Krabat.
»Du musst«, sagte Juro, »im Lauf des Sommers und Herbstes dahin zu kommen trachten, dass du imstande bist, dich dem Willen des Meisters zu widersetzen. Wenn wir in Rabengestalt auf der Stange hocken und er gebietet uns: ›Steckt die Schnäbel unter den linken Flügel!‹, – dann musst du es fertigbringen, dass du als Einziger deinen Schnabel unter den rechten steckst. Du verstehst mich. Indem du dich bei der Probe anders verhältst als wir übrigen, gibst du dich zu erkennen: das Mädchen weiß dann, auf welchen Raben es zeigen muss, und die Sache hat sich.«
»Was können wir also tun?«, meinte Krabat.
»Du wirst deinen Willen üben.«
»Sonst nichts?«
»Das ist mehr als genug, wie du merken wirst. Wollen wir anfangen?«
Krabat war einverstanden.
»Nehmen wir an«, meinte Juro, »dass ich der Meister bin. Wenn ich dir einen Befehl gebe, wirst du versuchen, das Gegenteil dessen zu tun, was ich sage. Statt also, falls ich es dir befehlen sollte, etwas von rechts nach links zu rücken, rückst du’s von links nach rechts. Wenn du aufstehen sollst, bleibst du sitzen. Verlange ich, dass du mir ins Gesicht schaust, dann blickst du weg. Ist das klar?«
»Das ist klar«, sagte Krabat.
»Gut, dann beginnen wir.« Juro deutete auf den Kerzenleuchter, der zwischen ihnen stand. »Nimm ihn«, gebot er, »und rücke ihn näher zu dir heran!«
Krabat streckte die Hand nach dem Leuchter aus, in der festen Absicht, ihn von sich wegzuschieben, auf Juro zu – doch da stieß er auf Widerstand. Eine Kraft, die der Kraft seines eigenen Willens entgegenwirkte, griff nach ihm aus und er war einen Augenblick wie gelähmt davon. Dann entbrannte ein stummer Zweikampf. Hier Juros Befehl – und da Krabat, der sich ihm widersetzen wollte, auf Biegen und Brechen.
Noch war er entschlossen, den Leuchter wegzuschieben. »Weg von mir!«, dachte er. »Weg damit, weg damit!«
Doch er merkte, wie Juros Wille allmählich von seinem Willen Besitz ergriff, wie er ihn langsam auslöschte.
»Wie du – befiehlst«, hörte Krabat sich schließlich sagen.
Dann zog er den Leuchter gehorsam zu sich heran. Wie ausgehöhlt kam er sich vor. Wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er jetzt tot sei, er hätte es ihm geglaubt.
»Nicht verzweifeln!«
Aus weiter Ferne hörte er Juros Stimme. Dann spürte er, wie sich ihm eine Hand auf die Schulter legte und abermals, diesmal ganz nahe, hörte er Juro sprechen: »Vergiss nicht,
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