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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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mir schwer. Es gibt so viele Sünden, die man begehen kann. Sie machen mir schreckliche Angst, denn ich
weiß, dass etwas in mir falsch ist. In mir lauert etwas ganz und gar Abscheuliches, das ich nicht ins Freie lassen darf. Die größte Sünde überhaupt.
    Ich habe Angst vor mir selbst.
     
    St. Thomas, 31. März 1975
    Ich sitze in der Tinte. Es frisst mich auf, das Kranke, Falsche. Es kann nicht sein, es darf nicht sein. Mich schüttelt es am ganzen Leib. Tausend Augen starren mich an. Ich bin mir sicher,
dass ich beobachtet werde. Dabei habe ich versucht, mir nichts anmerken zu lassen.
    Aber was nutzt das schon? Gott sieht alles. Vor ihm muss ich bestehen. Nicht vor meinen Mitschülern oder den Mönchen und Priestern.
    Meine Hand zittert beim Schreiben. Ich sollte es für mich behalten. Ich kann dem Blatt Papier nicht vertrauen, aber ich muss irgendwohin mit meinen Gedanken. Was, wenn jemand mein Tagebuch
zwischen Bettgestell und Wand findet? Was, wenn es jemand liest und herauskommt, was in mir vorgeht?
    Denn das, was gestern geschehen ist, kann ich nicht beichten. Unmöglich.
    Aber ich muss es loswerden. Es jemandem sagen, damit es aus meinem Kopf verschwindet. Also schreibe ich es auf.
    Wir haben einen neuen Mitschüler. Er kam gestern Nachmittag mit dem letzten Zug. Mitten im Schuljahr. Das heißt wahrscheinlich, dass er von einer anderen Schule geflogen ist.
    Er bekam einen Platz an meinem Esstisch zugewiesen. Drei Plätze weiter und schräg gegenüber. Weit genug, um nicht mit ihm reden zu müssen. Nah genug, um ihn zu sehen und
heimlich zuzuhören, was er zu erzählen hatte.
    Nicht viel natürlich. Wir sollen beim Essen nicht laut reden. Nur um das Salz oder den Wasserkrug bitten. Aber heute hatte Bruder Anton Aufsicht, und er sieht es nicht so eng, wenn wir
miteinander tuscheln.
    Der Neue unterhielt sich leise mit den anderen, erzählte ihnen, dass er aus dem Norden kommt. Hannover oder so. Das ist auch nicht wichtig.
    Ich weiß nicht, warum ich die Augen nicht von ihm abwenden konnte. Es lag an seinem Mund, glaube ich. Die Lippen schmal, das Lächeln breit und frech. Dasselbe galt für seine
halblangen, rotbraunen Haare, die bis zum Ende der Woche sicher dem Friseur zum Opfer fallen. Die Art, wie er auf seinem Stuhl saß, war unglaublich lässig; als könne die neue Schule
ihn gar nicht beeindrucken. Wie ein sorgloses Raubtier, das sich seiner Beute sicher ist.
    Da, ich fange schon wieder an.
    Er hat etwas an sich, dass mich ihn anstarren lässt. Dass mich darüber nachdenken lässt, ob er leicht Sommersprossen bekommt und ob er gern schwimmen geht. Und von da ist es ganz
leicht, sich zu fragen, wie er in Badehosen aussieht.
    Ja, meine Gedanken sind furchtbar. Ich weiß es ja! Mir ist selbst ganz übel davon.
    Ich konnte nicht am Tisch bleiben. Ich habe so getan, als ob ich spucken müsste, und bin vom Essen weggelaufen.
    Ich habe mir geschworen, ihm aus dem Weg zu gehen. Er ist älter als ich, denke ich. Aber das kann eigentlich nicht sein. Dann müsste er in ein paar Wochen Abitur machen und niemand
wechselt so kurz vor den Prüfungen die Schule. Ist er in meinem Jahrgang?
    Morgen ist Montag, dann werde ich es wissen.
    Jedenfalls war meine Nacht grauenvoll, meine Gedanken unerträglich. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, habe ich ihn vor mir gesehen. Das ist schon früher geschehen, aber nie war es
so schlimm. Bei anderen Jungen war ich nie so aufgeregt.
    Ja, ich bin widerlich.
    Um mich abzulenken, habe ich mir in den Arm gezwickt, bin aufgestanden und herumgelaufen, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Mein Geschlechtsteil war ganz hart zwischen meinen Beinen. Ich
hatte mich nicht unter Kontrolle und musste etwas tun, damit es Ruhe gibt. Also habe ich mich angefasst.
    Ich werde dafür gescholten werden, und das macht mir ausnahmsweise nichts aus. Nur kann ich Pater Ignatius nicht sagen, dass ein anderer Junge diese Gefühle in mir geweckt hat. Es gibt
keine größere Sünde, und ich bin ihrer schuldig.
    Jetzt sitze ich hier und zittere und frage mich, wie falsch ich bin. Ich weiß nicht viel über die Hölle. Aber ich weiß, dass ich sie besser kennenlernen werde, als mir lieb
ist.
     
    Im Wald, 6. April 1975
    Ich habe es nicht ausgehalten. Ich bin weggerannt. Ich konnte nicht mehr atmen.
    Jeder, wirklich jeder kann es mir ansehen. Wenn ich die Kirche betrete, ist mir, als müsse ich ersticken. Sie starren mich an. Meine Mitschüler, die Lehrer, der Priester. Und die
Heiligen an

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