Kräuterkunde
besser bewegen, als wir ihnen zutrauen: Umgetretene Stengel, ja sogar Baumstämme können sich wieder in die Senkrechte erheben. Kriecher wie die Gundelrebe oder die Brombeere wandern mittels ihrer Ausläufer zu Standorten, an denen sie bessere Bedingungen vorfinden. Am stärksten jedoch ist die Bewegungstendenz in den Blühorganen. Die Blütenblätter öffnen und schließen sich zu kosmisch bestimmten Zeiten. Bei der Nachtkerze ist das so markant, daß man meint, in der Abenddämmerung sei ein gelber Schmetterling seinem Kokon entschlüpft. Die Avocadoblüte öffnet sich zweimal, einmal für die reifen Staubblätter und dann ein weiteres Mal für die reifen Narben; so wird die Selbstbestäubung verhindert. Wenn ein Insekt die Staubblätter der Zimmerlinde berührt, schnellen diese hoch. Bei der Berberitze, dem Ginster oder dem Alfalfa schnellen sie nach außen. Wenn kein Insekt sie besucht, bestäuben sich viele Pflanzen selbst, indem sie die Staubfäden über die Narben krümmen. Bei der Verbreitung ihrer Samen werden die Pflanzen noch erfinderischer, was die Fortbewegung betrifft.
Manche Staubbeutel, etwa die der Erennessel oder des Berglorbeers, explodieren wie ein Büchsenschuß und schleudern den Pollen in die Luft. Blütenstaub ist übrigens so leicht, daß er zuweilen bis in die Stratosphäre getragen wird – was einige »Panspermisten« als Beweis dafür an sehen, daß das Leben von anderen Galaxien auf die Erde gekommen ist. Die Blütenstaubkörnchen bleiben über Jahrtausende stabil, so daß wir uns aufgrund von Pollenanalysen ein Bild von der Flora der alten Steinzeit machen können.
Die Bestäubung ist ein Geschehen, das ganz im Bereich des Beseelten stattfindet. Meistens sind es Insekten, aber auch Säugetiere und Vögel, die mit schmackhaftem Pollen, Nektar oder Sexuallockstoffen von der Pflanze dazu verführt werden, den Kurierdienst zu verrichten. Bei der Königin der Nacht, einem Kaktus, ist es die Vampirfledermaus, beim knallroten Trompetenstrauch ist es der Kolibri. Die Pandanus-Palme, die auf Hawaii wächst, läßt sich von Ratten bestäuben, der afrikanische Baobabbaum von Fledermäusen, und die zur Weihnachtszeit blühende Nieswurz lockt klebrige Schnecken an, um ihre Pollen weiterzutragen.
Die Seelenhaftigkeit der Blüten äußert sich auch in einem differenzierten Stoffwechsel, der Molekularverbindungen erzeugt, die sonst nur tierische Organismen hervorbringen. Darunter befinden sich Sexualhormone, die auf Insekten, aber auch auf Menschen wirken. Von der Öl weide (
Elaegnus angustifolium
) heißt es, ihr Duft sei so betörend, daß die Perser ihre Frauen einsperren müssen, wenn dieser Busch blüht. Von den Orchideen ist bekannt, daß sie mittels verführerischer Düfte und optischer Reize die Wespenmännchen derart anmachen, daß diese bis zur Ejakulation mit der Blüte kopulieren. Viele Pflanzen erzeugen Östrogene, die den Blühprozeß anregen. Tierähnliche Molekularverbindungen wie der Nervenbotenstoff Serotonin oder das Nebennierenrindenhormon Noradrenalin finden sich unter anderem in der Rautenblüte. Anderseits produzieren einige Blüten die Düfte von verwesenden Körpersekreten, Fäkalien oder Aas, um Käfer und Schmeißfliegen anzulocken. Diese Verwesungsdüfte beruhen auf verfallenden Stickstoffverbindungen, auf Aminen, die sonst nur dem Stoffwechsel von Tieren entspringen.
Das hier nur kurz Skizzierte unterstreicht die Korrespondenz zwischen dem Blüh-Pol der Pflanze und dem Verdauungs/Fortpflanzungs-Pol des menschlichen Unterleibs. Demzufolge wäre es in unserem Leib nicht etwa der Kopf, sondern der Beckenbereich, in dem sich das Seeli-sche am stärksten manifestiert. Daß dies der Fall ist, erkannte auch Sigmund Freud. Seine psychoanalytischen (zu deutsch »seelenauflösenden«) Untersuchungen legen den Schluß nahe, daß die meisten seelischen Probleme im Unterleib ihren Ursprung haben, im analen und vor allem im genitalen Bereich, und nicht etwa im Kopf. Das wußten auch schon die alten Philosophen, Astrologen und Alchimisten, die die verschiedenen Seelenfunktionen mit den sieben Hauptorganen in Verbindung brachten. Diese Organe wiederum befinden sich in Korrespondenz mit den sieben Planeten, den Verkörperungen der makrokosmischen Astralität. Dabei ist das Gehirn, das dem Mond, dem erdnächsten »Planeten« zugeordnet wird, lediglich ein Spiegel, der die Zustände der inneren Planeten, der Seele, widerspiegelt und dem alltäglichen Bewußtsein zugänglich machen kann
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