Kräuterkunde
Ein- und Ausatmen der Lungen, der Rhythmus des Herzens und das Pulsieren des Blutes sein pflanzliches Ebenbild in dem pulsierenden Wachstum und der Respiration des grünen Blattwerks hat. In beiden ist das Merkur-Prinzip tätig. Nun wollen wir uns eingehend mit dem Sulfur-Prinzip in Mensch und Pflanze befassen.
Das Sulfur-Prinzip bedeutet Auflösung, Auflockerung, Hingabe an das Umgebende, Überwindung von Grenzen und Vergeistigung. Es ist der dem Sal entgegengesetzte Pol. In der Pflanzenwelt stellt die Blüte den Sulfur-Pol dar. In der Blüte ist der vegetative Stoffwechsel beschleunigt, er wird animalischer, und es kommt zu einer kalorisch meßbaren Erhitzung. Hier im Blütenfeuer, in einer Art Verbrennungsprozeß, werden Düfte, Nektar und verschiedene Botenstoffe in die Umwelt verströmt. Hier öffnet sich die Pflanze einer für sie jenseitigen (höheren) Seinsebene, der Ebene der beseelten, astralisierten Tierwesen, den Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten. Hier ist der Punkt, an dem die Vitalität die Pflanze verläßt und sie farbenprächtig auflodert. Gleichzeitig ist hier der Fortpflanzungspol, der sie in einen neuen Daseinszyklus hinüberrettet.
Die Übereinstimmung mit dem menschlichen Wesen ist vollkommen. Im Menschen konzentriert sich das Sulfur Prinzip in den Aktivitäten des Unterleibs. Hier, im Darm, wird die Nahrungsmaterie aufgelöst, und in einem Verbrennungsprozeß wird die darin enthaltene Energie (meßbar als Kalorien) freigesetzt. Gleichzeitig werden schwefelige Gase und Asche (Kot) ausgeschieden. Die angrenzenden urogenitalen Organe nehmen beträchtliche Mengen der freigesetzten Energie auf und stellen sie der Fortpflanzung zur Verfügung. Sie sondern nicht nur Harn ab, sondern eine ganze Palette von Duftstoffen, die unter anderem als feinstoffliche Sexualsignale dienen. Fortpflanzung und Sexualität weisen über das Einzeldasein hinaus. Sie bewirken Ekstase, die die alltäglichen Bewußtseinsgrenzen sprengt, und bringen gleichzeitig neues, eigenständiges Leben hervor.
Polarität von Sal und Sulfur in Pflanze und Mensch
Das Tierische der Blüten
Am blühenden Pol transzendiert die Pflanze ihr vegetatives Dasein. Hier berührt sie die Tiersphäre. Sie wird animalischer, beseelter. Wie ein tierischer Organismus besitzt die Blüte kein photosynthetisierendes Lebensgrün. Sie sitzt wie ein bunter Schmetterling oder ein schillernder Käfer auf der Pflanze und ernährt sich von der ätherischen Kraft der grünen Teile. In der Blüte versucht die sonst ganz nach außen gerichtete Pflanze, sich nach innen zu stülpen. Es ist der zögernde Ansatz, ein tierhaftes Hohlorgan zu bilden. Doch dieser Schritt in Richtung Mikrokosmos übersteigt ihre Kräfte, sie stirbt ab und flüchtet in Samengestalt zurück in den vitalisierenden Schoß von Mutter Erde.
Die Blüte ist der heiße Pol der Pflanze, genau wie der Unterleib unsere heißeste Körperregion ist. Wo immer Wärme in einem lebenden Organismus auftritt, kündet sie von Astralität, von Beseeltheit. Verlieren wir unsere innere Wärme, dann sterben wir, das heißt, unsere Seele verläßt den leiblichen Mikrokosmos und wird makrokosmisch geistig. Auch bei der Pflanze ist das so. In dem Organ, in dem sie Wärme erzeugt, ist ihre Seele ganz nah. Das Blühen wird durch die unmittelbare Berührung der Pflanzenseele hervorgerufen. Und weil sie dermaßen vom Seelischen durchdrungen sind, lösen Blüten auch in uns seelische Regungen aus. Wir drücken unsere Gefühle anderen gegenüber – bei Hochzeiten, Geburtstagen, Jubiläen oder Beerdigungen – mit Blumensträußen und -kränzen aus.
Manche Blüten sind besonders heiß, etwa die der Aronstabgewächse, die mit Wärme und »tierischem« Gestank Insekten anziehen. Die höchste Temperatur wurde im
Arum orientale
gemessen: 43 Grad Celsius im Kelch bei einer Außentemperatur von 15 Grad. Der amerikanische Stinkkohl, dessen riesige Blätter die Indianer als »Kohl« aßen, blüht im kalten Februar. Seine Blüten sind so warm, daß die darauf fallenden Schneeflocken schmelzen. Die ersten winzigen, steifgliedrigen Insekten, die sich hinauswagen, finden in dem warmen Kelch Schutz vor der Kälte. Als Gegenleistung bestäuben sie die Pflanze. Der arktische Mohn und die Silberwurz, die nördlich des Polarkreises wachsen, haben weder Nektar noch Duft, sie ziehen die frierenden Kerbtierchen nur mit ihrer Wärme an.
Ein weiteres Kriterium der Beseelung ist die freie Beweglichkeit. Pflanzen können sich
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