Kraft des Bösen
e melde t wurde . 195 5 gin g ic h nac h Österreich , w o ic h mic h mit de m Nazijäge r Simo n Wiesentha l unterhielt.
Wiesenthals ›Dokumentationszentrum‹ befand sich in einem Stockwerk eines heruntergekommenen Gebäudes in einem der ärmsten Stadtteile von Wien. Das Gebäude sah aus, als wäre es währen d de s Kriege s al s behelfsmäßig e Kasern e genutz t w o r den, Wiesenthal hatte drei Zimmer dort, von denen zwei mit überquellende n Aktenschränke n vollgestopf t waren ; sei n Büro hatt e nu r eine n kahle n Betonboden . Wiesentha l selbs t wa r ein nervöser , quirlige r Man n mi t beunruhigende n Augen . Diese Auge n hatte n etwa s Vertrautes . Zuers t dacht e ich , e r hätt e die Auge n eine s Fanatikers , abe r dan n wurd e mi r klar , w o ic h s o l ch e Auge n scho n einma l gesehe n hatte . Simo n Wiesenthals Auge n erinnerte n mic h a n die , i n di e ic h jede n Morge n beim Rasiere n gesehe n hatte.
Ic h schildert e Wiesentha l ein e Kurzfassun g meine r G e schicht e un d bestätigte , da ß de r Standartenführe r Gra u samke i te n a n Inhaftierte n de s Lager s Chelmn o zu r Belustigun g seiner Soldate n begange n hatte . Wiesentha l wurd e zunehmen d int e ressiert , al s ic h ih m sagte , ic h hätt e de n Standartenführe r in Begleitun g vo n Heinric h Himmle r i n Sobibo r wiedergesehen.
›Sin d Si e s icher ? fragt e er . ›Eindeutig‹ , antwortet e ich.
Obwoh l e r überau s beschäftig t war , hal f mi r Wiesenthal zwe i Tag e be i meine n Versuchen , de n Standartenführe r aufz u spüren . I n seine r vollgestopfte n Gruf t vo n eine m Bürokomplex stapelt e Wiesentha l Hundert e Akten , Dutzend e Indice s und Quervermerk e un d di e Name n vo n übe r 2 2 00 0 SS - Leuten. Wir studierte n Foto s vo n Männer n de r Einsatzgruppen , Bilde r von Abschlußjahrgängen der Militärakademie, Zeitungsausschnitte und Fotos aus der offiziellen Zeitschrift der SS, Das sc hwarze Korps. A m End e de s erste n Tage s konnt e ic h nich t meh r klar sehen . I n diese r Nach t träumt e ic h vo n Foto s vo n Offizieren der Wehrmacht, die Orden von grinsenden Naziführern erhi e l ten . Kein e Spu r vo m Standartenführer.
Es war schon spät am nächsten Nachmittag, als ich etwas fand. Das Foto der Zeitung trug das Datum 23. November 1942 . Da s Bil d zeigt e eine n Baro n vo n Büler , eine n preu ß i sche n Aristokrate n un d Helde n de s Erste n Weltkriegs , de r als Obergruppenführe r i n de n aktive n Diens t zurückgekehr t war. L a u t Bildunterschrif t wa r Obergruppenführe r vo n Büle r im Gefecht gefallen, als er einen heroischen Gegenangriff gegen ein e bewaffnet e russisch e Divisio n a n de r Ostfron t befehligte. Ich betrachtete das runzlige und zerfurchte Gesicht auf dem verblichene n Zei t ungsausschnit t lange . E s wa r de r alt e Mann.
›De r Alte. ‹ Ic h legt e e s i n de n Ordne r zurüc k un d macht e w e i ter.
›Wen n wi r nu r de n Nachname n wüßten‹ , sagt e Wiesenthal a n diese m Aben d z u mir , al s wi r i n eine m kleine n Restauran t in de r Näh e de s St. - Stephan s - Dom s aßen . ›Ic h bi n sicher , wir könnten ihn aufspüren, wenn wir seinen Nachnamen wüßten. SS und Gestapo führten peinlich genau Buch über ihre Offizi e re . Wen n wi r nu r seine n Name n wüßten.‹
Ic h zuckt e di e Achsel n un d sagte , da ß ic h a m Morge n nach Te l Avi v zurüc k fliege n würde . Wi r hatte n Wiesenthal s Unte r lage n übe r di e Einsatzgruppe n un d di e Ostfron t s o gu t wie durch , un d mei n Studiu m würd e bal d mein e gesamt e Zei t in Anspruc h nehmen.
›Abe r nich t doch! ‹ rie f Wiesentha l aus . ›Si e habe n da s Getto vo n Lod z überlebt , C helmn o un d Sobibor . Si e müsse n eine Meng e Informatione n übe r ander e Offiziere , ander e Kriegsv e r breche r haben . Si e müsse n noc h mindesten s di e nächst e Woche hierbleiben . Ic h werd e Si e interviewe n un d di e Interview s für mein e Akte n niederschreibe n lassen . Un v orstellbar , welch wertvoll e Informatione n Si e besitze n können.‹
›Nein‹ , sagt e ich . ›Di e andere n interessiere n mic h nicht . Ich wil l nu r de n Standartenführe r finden.‹
Wiesenthal sah in seinen Kaffee, dann wieder mich an. In seinen Augen leuchtete ein seltsa m e s Licht . ›Si e interessieren sic h demnac h nu r fü r Rache?‹
›Ja‹ , sagt e ich . ›Gena u wi e Sie.‹
Wiesenthal schüttelte traurig den Kopf. ›Nein‹, sagte er.
›Vielleicht sind
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