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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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er mußte es versuchen. Wie trug man einen Bewußtlosen eineinhalb Blocks die Mall entlang zu seinem Mietwagen? Da er Washington kannte, vermutete Saul, daß das schon das eine oder andere Mal gemacht worden war. Er beschloß, daß er den Jungen auf der Bank liegenlassen, zu seinem Auto laufen, rasch zur Third Street fahren, am Bordstein halten und den bewußtlosen jungen Mann auf den Rücksitz legen würde.
    Saul fiel nichts ein, wie er sich davor schützen konnte, von dem Standartenführer übernommen zu werden. Einerlei. Er holte die Rolle Vierteldollarmünzen beiläufig aus der Tasche und schirmte sie durch seine Körperhaltung ab.
    »Ich möchte, daß Sie jemanden kennenlernen«, sagte Harrington.
    »Was?« Sauls Herz klopfte so heftig, daß er kaum sprechen konnte.
    »Ich habe jemanden, den ich Ihnen vorstellen möchte«, wiederholte der Standartenführer und ließ Saul aufstehen. »Ich glaube, es dürfte Sie interessieren, ihn kennenzulernen.«
    Saul blieb sitzen, wo er war. Sein Arm zitterte, so fest hatte er die Faust geballt.
    »Kommen Sie mit, Jude?« Die deutschen Worte und der Tonfall waren fast identisch mit denen, die der Standartenführer vor achtunddreißig Jahren in der Baracke von Chelmno benützt hatte.
    »Ja«, sagte Saul, stand auf, steckte die Hände in die Manteltaschen und folgte Harrington in die plötzliche Winterdunkelheit.
    Es war der kürzeste Tag des Jahres. Ein paar abgehärtete Touristen warteten auf Busse oder hasteten zu ihren Autos. Sie gingen am Capitol vorbei die Constitution Avenue entlang und blieben vor dem Eingang der Garage des Senatsgebäudes stehen. Nach ein paar Minuten gingen automatische Türen auf und eine Limousine fuhr heraus. Harrington lief die Rampe entlang, Saul folgte ihm und duckte sich, als die Metalltür wieder nach unten glitt. Zwei Wachmänner sahen sie an. Einer, ein übergewichtiger Mann mit rotem Gesicht, kam auf sie zu. »Gottverdammt, Sie haben hier nichts zu suchen«, brüllte er. »Machen Sie kehrt und verschwinden Sie, bevor wir Sie festnehmen müssen.«
    »He, tut mir leid!« rief Harrington, dessen Stimme wieder wie Francis Harrington klang. »Sehen Sie, wir haben Besucherausweise für Senator Kellog, aber die Tür, die er uns genannt hat, ist abgeschlossen und niemand hat aufgemacht, als wir geklopft haben ...«
    »Haupttor«, sagte der Wachmann, der immer noch mit den Händen fuchtelte. Der andere Wächter stand an einem abgeteilten Areal. Er hatte die rechte Hand am Revolver und behielt Saul und Harrington genau im Auge. »Aber keine Besucher nach siebzehn Uhr. Und jetzt seht zu, daß ihr verschwindet, sonst werdet ihr festgenommen. Raus.«
    »Klar«, sagte Harrington liebenswürdig und zog eine Pistole mit langem Lauf aus dem Mantel. Er schoß dem dicken Wachmann durchs rechte Auge. Der andere Wächter stand wie gebannt da. Saul war beim ersten Schuß zurückgezuckt, jetzt bemerkte er, daß die Reglosigkeit des Wächters keine natürliche Angstreaktion war. Der Mann bemühte sich mit aller Kraft, den rechten Arm zu heben, aber seine Hand zuckte lediglich wie gelähmt. Schweiß brach auf Stirn und Oberlippe des Mannes aus, seine Augen quollen aus den Höhlen.
    »Zu spät«, sagte Harrington und schoß dem Mann viermal in Brust und Hals.
    Saul hörte das pfft-pfft-pfft-pfft und bemerkte, daß ein Teil des langen Laufs ein Schalldämpfer war. Er wollte sich bewegen, doch dann erstarrte er, als Harrington den Lauf in seine Richtung drehte. »Schleppen Sie sie rein.« Saul gehorchte; sein Atem bildete Wölkchen in der kalten Luft, als er den schwergewichtigen Mann über die Rampe in die Kabine schleifte.
    Harrington ließ das Magazin herausschnellen und rastete ein anderes mit einem Schlag der Handfläche ein. Er bückte sich und hob die fünf Patronenhülsen auf. »Gehen wir nach oben«, sagte er.
    »Sie haben Videokameras«, keuchte Saul.
    »Ja, im Gebäude selbst«, sagte Harrington, der wieder deutsch sprach. »Im Keller ist nur ein Telefon.«
    »Sie werden die Wachen vermissen«, sagte Saul mit festerer Stimme.
    »Zweifellos«, entgegnete Harrington. »Ich würde vorschlagen, Sie gehen die Treppe schneller hinauf.«
    Sie kamen ins Erdgeschoß und gingen einen Flur entlang. Ein Wachmann, der eine Zeitung las, sah überrascht auf. »Tut mir leid, Sir, aber dieser Flügel wird geschlossen, sobald es nach ...« Harrington schoß ihm zweimal in die Brust und schleppte den Leichnam zum Treppenhaus. Saul sackte gegen eine Holztür. Seine Beine

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