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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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erstarrten, als sie eintrat. Ein großer, unglaublich dünner Mann Anfang Zwanzig lehnte sich auf sein Billardqueue und schnappte: »Was willst du, Schlampe?«
    »Mit euch reden.«
    »Schei-ße«, sagte ein bärtiger Jugendlicher, der auf einer der Matratzen lag. »Hört euch das an. >Mit oich rayden.< Woher kommst du denn, Alte? Aus einem Scheißstaat irgendwo unten im Süden?«
    »Ich will ein Interview machen«, sagte Natalie und staunte, daß ihre Stimme und ihre Knie ihr noch nicht den Dienst versagt hatten. »Über die Morde.«
    Das Schweigen dehnte sich, bis es bösartig wurde. Der große junge Mann, der zuerst gesprochen hatte, hob das Queue und kam langsam auf sie zu. Vier Schritte entfernt blieb er stehen, streckte das Queue aus, strich mit der kreidebeschmierten Spitze zwischen den offenen Aufschlägen ihrer Jacke an der Bluse hinunter und hakte es am Gürtel ihrer Jeans ein. »Ich geb’ dir ein Interview, Schlampe. Ein echt tiefschürfendes Interview, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Natalie zwang sich, nicht zusammenzuzucken. Sie schob die Nikon auf die Seite, griff in die Manteltasche und hielt einen Farbabzug von Mr. Hodges’ Dia hoch. »Hat jemand von euch diese Frau gesehen?«
    Der Mann mit dem Queue sah es an und winkte einen Jungen her, der nicht älter als vierzehn sein konnte. Der Junge sah es an, nickte und ging wieder zu seinem Platz beim Fenster.
    »Hol Marvin hier rauf«, schnappte der mit dem Billardqueue. »Aber ein bißchen plötzlich.«
    Marvin Gayle war neunzehn und betörend schön mit seinen blauen Augen, langen Wimpern, Haut von der Farbe von Milchkaffee, und er war der geborene Anführer. Das wußte Natalie in dem Augenblick, als er das Zimmer betrat. Irgendwie veränderte sich der Brennpunkt des Raums, die Haltung der anderen wechselte unmerklich, und Marvin war der Mittelpunkt. Zehn Minuten lang wollte Marvin wissen, wer die weiße Frau war. Zehn Minuten beharrte Natalie darauf, daß sie es ihnen sagen würde, wenn sie ihr alles über die Morde erzählt hatten.
    Schließlich entblößte Marvin ebenmäßige Zähne zu einem breiten Grinsen. »Sicher, daß du es wissen willst, Babe?«
    »Ja«, sagte Natalie. Frederick nannte sie Babe. Es nervte sie, das hier zu hören.
    Marvin klatschte in die Hände. »Leroy, Calvin, Monk, Louis, George«, sagte er. »Die anderen bleiben hier.«
    Ein Chor protestierender Stimmen wurde laut.
    »Verdammt, seid still«, schnappte Marvin. »Wir haben immer noch Krieg, kapiert? Jemand da draußen will uns immer noch alle machen. Wenn wir wissen, wer die käsige alte Nutte ist, was sie damit zu tun hat, dann wissen wir auch, gegen wen wir vorgehen müssen. Kapiert? Kapiert. Und jetzt haltet die Klappe.«
    Sie kehrten zu ihren Matratzen und dem Billardtisch zurück. Es war vier Uhr und wurde schon dunkel draußen. Natalie machte den Reißverschluß des Mantels zu und schob ihr plötzliches Zittern auf den Wind. Sie gingen auf der Bringhurst nach Norden, unter den Eisenbahnschienen durch und dann auf einer Straße nach Westen, die Natalie anfänglich für eine Gasse gehalten hatte. Straßenlampen gab es keine. Schnee schien aufkommen zu wollen. Die Nacht roch nach Abwasser und Ruß.
    Am Eingang zu einer richtigen Gasse blieben sie stehen. Marvin deutete auf den Vierzehnjährigen. »Monk, sag ihr, was passiert ist, Mann.«
    Der Junge steckte die Hände in die Taschen und spie in gefrorenes Unkraut und Durcheinander von Backsteinen auf einem Brachgrundstück. »Muhammed und die drei anderen sind genau hierhergegangen, klar? Ich komm’ hierher, war aber noch nicht da, klar? Es war Heiligabend im Pit, und Muhammed und Toby ham ‘n bißchen was gekokst, klar? Sind ohne mich gegangen, um’s noch mal bei Zigs Bruder zu versuchen, klar? In Pulaski Town, richtig? Aber ich war so verdammt stoned, hab’ gar nich gesehn, wiese weg sind, und komm’ ihnen nachgelaufen, klar?«
    »Erzähl von dem weißen Typ«, sagte Marvin.
    »Der weiße Scheißtyp, der kommt aus der Scheißgasse hier raus und zeigt Muhammed sein’ Scheißfinger. Genau hier. Ich bin ‘n halben Block die Scheißstraße runter und hör’ den ollen Muhammed sagen: Scheiße, glaubt ihr das? Steht da so ‘n kleiner weißer Scheißer und vergackeiert Muhammed und drei Brüder.«
    »Wie hat er ausgesehen?« fragte Natalie.
    »Sei still«, schnappte Marvin. »Ich stelle die Fragen. Sag ihr, wie er ausgesehen hat.«
    »Beschissen hat er ausgesehn«, sagte Monk und spie wieder aus. Er wischte sich,

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