Kraft des Bösen
hier entfernt.< Wahrscheinlich ersteres; er trug keinen Ehering, aber das hatte nichts zu sagen. Natalie war nur überzeugt, daß die unausweichlichen Avancen und ihre linkische Ablehnung folgen würden.
Aber sie irrte sich. Er parkte vor dem alten Hotel, trug ihr Gepäck hinein, wünschte ihr Glück und fuhr weg. Sie fragte sich, ob er schwul war.
Natalie hatte Charleston vor elf angerufen und Telefon- und Zimmernummer ihres Hotels auf Robs Anrufbeantworter gesprochen. Sie hatte damit gerechnet, daß er gleich nach elf anrufen und vorschlagen würde, daß sie augenblicklich nach St. Louis zurückkehrte, aber er rief nicht an. Enttäuscht und seltsam gekränkt kämpfte sie gegen den Schlaf und rief um halb zwölf noch einmal in Charleston an und benützte das Gerät, das Rob ihr gegeben hatte. Keine Nachricht von ihm, nur ihre beiden Anrufe auf dem Band. Sie ging verwirrt und ein wenig ängstlich schlafen.
Bei Tage war es besser. Obwohl sie immer noch keine Nachricht von Gentry hatte, rief sie den Philadelphia Inquirer an, nannte den Namen ihres Redakteurs in Chicago und konnte dem Lokalredakteur so ein paar Informationen entlocken. Die Umstände des Verbrechens waren immer noch weitgehend unbekannt, aber es stand fest, daß einige oder alle Bandenmitglieder geköpft worden waren. Die >Soul-Brickyard<-Bande hatte ihr Hauptquartier in einem von der Stadt finanzierten Wohlfahrtsgebäude abseits der Bringhurst Street, nur etwa eine Meile von Natalies Hotel in der Chelten Avenue entfernt. Natalie schlug die Telefonnummer des Wohlfahrtsgebäudes nach, rief an und gab sich als Reporterin der Sun Times zu erkennen. Ein Priester gab ihr einen Termin von fünfzehn Minuten um drei Uhr.
Natalie erkundete den Tag über Germantown und schlenderte immer weiter durch deprimierende Nebenstraßen, wo sie Aufnahmen machte. Das Viertel besaß einen eigentümlichen Charme. Nördlich und südlich der Chelten Avenue lagen große alte Villen, die als Mietwohnungen ein trotziges Dasein fristeten, während schwarze und weiße Familien den Anschein eines Mittelschichtslebens wahrten und Östlich der Bringhurst Street das Viertel ausgebrannten Reihenhäusern, liegengebliebenen Autos und dem blicklosen Gaffen der Hoffnungslosen wich.
Aber die Sonne schien, und eine Zeitlang folgte ihr eine kichernde Kinderschar, die sie anflehten, ein Foto von ihnen zu machen. Natalie erfüllte ihnen den Wunsch. Über ihnen donnerte ein Zug vorbei, eine Frauenstimme bellte aus einer Tür einen halben Block entfernt, und das ganze Rudel stob auseinander wie Blätter im Wind.
Um zehn, zwölf und zwei keine Nachricht von Rob. Sie würde bis heute abend um elf warten. Verdammt.
Um drei klopfte sie an die Tür einer großen Villa im Stil der zwanziger Jahre, die zwischen Schutt, ausgebrannten Mietshäusern und Fabrikgelände stand. Das Geländer um die Veranda ringsum war teilweise zertrümmert worden. Die Fenster im zweiten Stock waren zugenagelt, aber jemand hatte im vergangenen Jahr den Anstrich mit einer dünnen Schicht billiger gelber Farbe erneuert. Das Haus sah aus, als litte es an Gelbsucht.
Der Reverend Bill Woods war weiß und vierschrötig. Er saß mit ihr in einem chaotischen Büro im Erdgeschoß und beschwerte sich über zuwenig öffentliche Mittel, den bürokratischen Alptraum, ein städtisches Projekt wie das Community House zu verwalten, und die mangelnde Zusammenarbeit von Jugendgruppen und der Öffentlichkeit im allgemeinen. Er weigerte sich, das Wort >Banden< zu benützen. Natalie sah junge schwarze Männer auf dem Flur kommen und gehen und hörte Gelächter und Rufe aus dem Keller und dem ersten Stock.
»Könnte ich mit jemandem von der >Soul Brickyard< ... Gruppe sprechen?« fragte sie.
»O nein«, rief Woods. »Die Jungs wollen mit niemandem sprechen, außer den Fernsehteams. Es gefällt ihnen, vor der Kamera zu stehen.«
»Wohnen sie hier?« fragte Natalie.
»Lieber Himmel, nein. Sie versammeln sich hier nur ab und zu zu Treffen und zum Entspannen.«
»Ich muß mit ihnen sprechen«, sagte Natalie und stand vom Sessel auf.
»Ich fürchte, das wird nicht ... he, Moment mal!«
Natalie ging den Flur entlang, riß eine Tür auf und ging eine schmale Treppe hoch. Im ersten Stock drängten sich ein Dutzend schwarze Männer um einen Billardtisch oder lungerten auf Matratzen auf dem mörtelübersäten Boden herum. Vor den Fenstern waren Stahlläden, und Natalie zählte vier halbautomatische Schrotflinten, die danebenstanden.
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