Kraft des Bösen
derselben Art von Plastiksprengstoff gefüllt war, die Harrington bei sich gehabt hatte.
»Genügend Zeit wofür?« fragte Saul.
»Vorbereitungen. In diesem Gebäude gibt es einen nicht im Plan aufgeführten Kriechraum, der direkt mit dem Keller von nebenan verbunden ist. Vom Keller nebenan hat man Zugang zu einem kurzen Abschnitt des alten Hochwasserablaufsystems der Stadt. Wir können darin nur einen Block zurücklegen, aber das sollte ausreichen, uns aus dem unmittelbaren Kreis der Beobachtung herauszubringen. Auf mich wartet dort ein Auto. Sie können gehen, wohin Sie wollen.«
»Sie sind so verdammt oberschlau, daß ich mich übergeben könnte«, sagte Saul. »Das wird nicht klappen.«
»Oh?« Luhar zog die buschigen Brauen hoch.
Saul zog den Mantel aus und krempelte den Ärmel hoch. Der Verband wies einen gelben Fleck von der Salbe auf, die sie benützt hatten. »Sie haben mir gestern etwas eingepflanzt. Ich vermute, es ist ein Peilsender.«
»Selbstverständlich ist es das«, sagte Luhar. Er holte ein in grünes Tuch eingewickeltes Bündel aus dem Koffer und rollte es auf. Eine Flasche Jod und chirurgische Instrumente glänzten im trüben Licht von oben. »Die Prozedur dürfte nicht länger als zwanzig Minuten dauern, oder?«
Saul hob ein steril verpacktes Skalpell hoch. »Und ich nehme an, Sie werden mir die Ehre erweisen?«
»Wenn Sie darauf bestehen«, sagte Luhar. »Ich muß aber darauf hinweisen, daß ich nie eine medizinische Ausbildung genossen habe.«
»Also habe ich selbst das Vergnügen«, sagte Saul. Er sah in den Koffer und blickte auf. »Keine Spritzen? Keine örtliche Betäubung?«
Jensen Luhars Spiegelbrille spiegelte den Raum. Sein derbes Gesicht war ausdruckslos. »Unglücklicherweise nicht. Wieviel ist Ihnen Ihre Freiheit wert, Dr. Laski?«
»Sie sind wahnsinnig, Herr Standartenführer«, sagte Saul. Er setzte sich an den Tisch, breitete die Instrumente aus und zog die Jodflasche näher.
Luhar zerrte einen Seesack unter dem Tisch hervor. »Vorher ziehen wir uns um«, sagte er. »Für den Fall, daß Ihnen später nicht mehr danach ist.«
Als die Leichen ihre Kleidungsstücke trugen und Saul leicht ausgebeulte Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover und schwere Schuhe trug, die ihm eine halbe Nummer zu klein waren, sagte Luhar: »Es bleiben noch etwa achtzehn Minuten, Doktor.«
»Setzen Sie sich«, sagte Saul. »Ich erkläre Ihnen jetzt genau, was Sie machen müssen, wenn ich das Bewußtsein verliere.« Er zog verpackten Mull und Binden aus einer Plastiktüte. »Sie müssen die Wunde zunähen.«
»Wie Sie meinen, Doktor.«
Saul schüttelte den Kopf, sah einen Moment zum Oberlicht hinauf, wieder herunter und nahm dann mit einer einzigen, sicheren Bewegung des Skalpells den ersten Schnitt vor.
Saul verlor nicht das Bewußtsein. Er schrie zweimal, und als die Fasern des Peilsenders vom Muskelgewebe getrennt wurden, beugte er sich zur Seite und übergab sich. Luhar nähte die Wunde mit groben Stichen und verband sie, wickelte Mullbinden darum und streifte dem halb bewußtlosen Psychiater einen schweren Mantel über. »Wir sind fünf Minuten hinter dem Zeitplan«, zischte Luhar. »Beeilen Sie sich.«
In dem scheinbar soliden Betonboden befand sich eine Falltür unter Paletten in der gegenüberliegenden Ecke. Als Luhar die Tür nach unten zog, konnte Saul einen Helikopter dröhnen und fernes Pochen hören. »Beeilung!« zischte der große Mann in der engen Dunkelheit. Saul versuchte zu kriechen, schrie auf, als sein Arm vor Schmerzen brannte, und kippte nach vorn. Eine gewaltige Explosion von oben erschütterte den Boden und ließ Staub und Spinnweben auf Sauls Gesicht und Haar regnen. »Bewegung!« zischte Luhar und schob Saul vor sich her.
Lockere Betonbrocken. Luhar kickte sie hinaus, zog Saul in einem dunklen Keller auf die Füße, der nach Mehltau und alten Zeitungen roch, und hielt ihn in Bewegung. Sie zwängten sich zwischen einem Gitter und einer Backsteinmauer durch, dann krochen sie wieder, wobei Sauls Hände und Knie in Eiswasser getaucht waren und etwas Schleimiges und Glitschiges in der Dunkelheit berührten. Saul versuchte, den linken Arm an sich zu drücken und auf drei Gliedmaßen zu kriechen. Zweimal rutschte er aus, stieß sich die linke Schulter an und durchnäßte den Mantel. Luhar lachte und schob ihn von hinten. Saul machte die Augen zu und dachte an Sobibor, an die brüllenden Massen, die Stille im Wald der Eulen.
Schließlich konnten sie stehen. Luhar
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