Kraft des Bösen
wünschte er sich, Saul wäre bei Bewußtsein, damit sie darüber reden könnten. Gentry hatte den Eindruck, als wäre die Welt zu einem paranoiden Alptraum geworden, wo die Ketten von Ursache und Wirkung vollkommen zerrissen waren.
Der Zwilling namens G. B. hielt Gentry einen halben Block vom Haus entfernt auf. Der Sheriff sah in die Mündung der billigen Pistole und schnappte: »Laß mich durch. Marvin weiß, daß ich komme.«
»Ja, aber er weiß nicht, daß Sie ‘n toten weißen Typ mitbringen.«
»Er ist nicht tot und kann uns möglicherweise helfen. Wenn er stirbt, werde ich dafür sorgen, daß Marvin dich zur Verantwortung zieht. Und jetzt laß mich durch.«
G. B. zögerte. »Hol dich der Teufel, Bulle«, sagte er schließlich, ging aber beiseite.
Gentry mußte drei weitere Wachtposten passieren, bis er zum Haus kam. Marvin hatte die Verteidigungslinie hundert Meter in jede Richtung ausgedehnt. Jedes unbekannte Fahrzeug im Block sollte bombardiert werden, wenn es sich nicht verzog. Die Insassen eines grünen Lieferwagens, zwei Weiße vorne und Gott weiß wie viele hinten, hatten sich Leroys Ultimatum dreißig Sekunden lang überlegt und waren dann schnellstens davongebraust. Möglicherweise hatte die Literflasche Shell bleifrei in Leroys rechter Hand sie überzeugt.
Montag nacht war der Anfang eines Alptraums gewesen.
Marvin und die anderen waren durch Gassen und Nebenstraßen zum Community House zurückgekehrt. Leroy blutete aus einem Dutzend Schrotwunden, und alle außer Marvin waren nach dem Schußwechsel in dem dunklen Gebäude halb hysterisch. Sie hatten die Leichen von Calvin und Trout ins Haus gezerrt, und Marvin hatte vorgehabt, Jackson oder Taylor mit Jim Woods’ Lastwagen zurückzuschicken, aber das Chaos, das sie bei ihrer Rückkehr vorfanden, verzögerte das um Stunden. Als sie kurz nach Sonnenaufgang tatsächlich einen Lastwagen hinschickten, waren die Leichen verschwunden und nur anonyme Blutlachen im ersten und zweiten Stock zurückgeblieben. Keine Beamten waren am Schauplatz zu sehen.
Als sie zurückkehrten, herrschte ein Tohuwabohu im Community House. Auf jeden Schatten wurden Schüsse abgegeben. Jemand hatte die Feuer in den Schrottautos gelöscht, aber der Rauch hing noch über dem ganzen Block wie eine Wolke des Todes.
»Er war hier, Mann, das weiße Monster, hier im Haus, er hat Woods alle gemacht und Kara echt schlimm gehauen, Mann, und Raji hat gesehen, wie er die Kameratussie über ‘n Hof gejagt hat, Mann, und ...« brabbelte Taylor, als sie eintrafen.
»Wo ist Kara!« brüllte Marvin. Gentry hörte zum erstenmal, wie der junge Mann schrie.
Kara war oben, sagte Taylor, auf der Matratze hinter dem Vorhang, echt schlimm verletzt. Gentry folgte ihnen nach oben. Die meisten Bandenmitglieder dort betrachteten Woods’ geköpften Rumpf auf dem Billardtisch, aber Marvin und Jackson gingen schnurstracks zu der bewußtlosen Kara, die von vier anderen Mädchen versorgt wurde.
»Sieht nicht gut aus«, sagte Jackson. Das wunderschöne Gesicht des Mädchens war fast unkenntlich, die Stirn grotesk geschwollen, die Augen aufgrund innerer Blutungen dunkel. »Müßte ins Krankenhaus. Puls und Blutdruck sind gefallen.«
»He, Mann«, sagte Leroy und zeigte einen rechten Arm und ein Bein voll blutiger Kreise. »Ich bin auch verletzt. Laß mich mit dir gehn, mich zusammenflicken lassen, und dann .«
»Bleib hier«, schnappte Marvin. »Trommel diese Arschlöcher zusammen. Niemand kommt näher hierher als einen halben Block, klar? Sag Sherman und Eduardo, sie sollen ihre Ärsche rüber nach Dogtown in Bewegung setzen und Mannie Bescheid sagen. Wir brauchen die Unterstützung, die er uns versprochen hat, als wir ihm letztes Jahr bei dieser Pastorius- Sache geholfen haben. Wir brauchen sie jetzt. Sag Squeeze, daß wir sämtliche Zwerge und Hilfstruppen auf der Straße sehen wollen, sofort. Ich will wissen, wo diese Scheiß-Voodoo- Lady steckt.«
Während er weitere Befehle bellte und Jackson Kara behutsam nach unten trug, zog Gentry Taylor beiseite. »Wo ist Natalie?«
Der junge Mann schüttelte den Kopf und keuchte, als Gentry den Griff um seinen Bizeps verstärkte. »Scheiße, Mann. Das weiße Monster war hinter ihr her. Raji hat gesehn, wie sie über ‘n Hof sind, zwischen die Häuser, Mann. Es war dunkel. Wir sind ihm nach, konnten aber nichts sehn.«
»Wie lange ist das her?« Gentry drückte fester.
»He, Scheiße. Zwanzig Minuten. Vielleicht fünfundzwanzig.«
Gentry ging rasch
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