Kraft des Bösen
meiste Zeit hier und kümmerte sich um meine Bedürfnisse. Culley schlief in dem kleinen Zimmer bei der Küche, das Mr. Thorne gehört hatte. Er schlief nicht viel. Nachts saß er auf einem Stuhl in der Diele, vor der Eingangstür. Der Negerjunge schlief auf einer Pritsche, die wir auf der hinteren Veranda für ihn aufgebaut hatten. Nachts war es kalt da draußen, aber das machte ihm nichts aus.
Justin, der Junge, verbrachte viel Zeit bei mir, bürstete mir das Haar, sah Bücher an, die ich lesen wollte, und war zur Stelle, wenn ich Botengänge zu erledigen hatte. Manchmal schickte ich ihn einfach in mein Nähzimmer, wo er sich auf das Weidensofa setzte und den Sonnenschein, den blauen Himmel jenseits des Gartens und den Geruch der neuen Pflanzen genoß, die Culley gekauft und eingepflanzt hatte. Meine Hummelpuppen und anderen Porzellanfiguren waren in der Glasvitrine aufgestellt, die ich den Negerjungen hatte reparieren lassen.
Es war angenehm und etwas ungewöhnlich, die Welt so häufig durch Justins Augen zu sehen. Seine Sinne und Wahrnehmungen waren so direkt, so unberührt von Interferenzen des bewußten Selbst, daß es fast schmerzte. Man konnte süchtig danach werden. Was es um so schwerer machte, meine Aufmerksamkeit wieder auf die engen Grenzen meines eigenen Körpers zu konzentrieren.
Schwester Oldsmith und Miß Sewell waren optimistisch, was meine Genesung betraf, und beharrlich in ihren Versuchen einer Therapie. Ich erlaubte ihnen - ermutigte sie sogar -, dieses Verhalten beizubehalten, weil ich durchaus wieder sprechen und gehen und in die Welt zurückkehren wollte, aber ich sah den Fortschritten, die sie bewirkten, auch mit gemischten Gefühlen entgegen, weil ich sicher war, daß sie ein Nachlassen meiner gesteigerten >Gabe< nach sich ziehen würden.
Jeden Tag untersuchte mich Dr. Hartman, führte Tests durch und sprach mir Mut zu. Die Schwestern badeten mich, drehten mich alle zwei Stunden um und bewegten meine Gliedmaßen, damit Muskeln und Gelenke funktionstüchtig blieben. Kurz nach unserer Rückkehr nach Charleston begannen sie mit einer Therapie, die aktive Teilnahme meinerseits erforderte. Ich konnte den linken Arm und das Bein bewegen, aber wenn ich das machte, wurde die Kontrolle meiner kleinen Familie schwierig, fast unmöglich, daher machten wir es uns bald zur Gewohnheit, daß alle, abgesehen von den Schwestern und mir, Tag für Tag während der zweieinhalb Stunden der Therapie nur saßen oder im Bett lagen und ausruhten, wozu nicht mehr direkte Kontrolle oder Aufmerksamkeit erforderlich waren als für Pferde in ihren Boxen.
Ende April konnte ich mit dem linken Auge wieder sehen und die Gliedmaßen einigermaßen bewegen. Das Gefühl in meiner ganzen linken Seite war ausgesprochen seltsam - als hätte ich Novocainspritzen in Kiefer, Arm, Seite, Hüfte und Bein bekommen. Es war nicht unangenehm.
Dr. Hartman war ausgesprochen stolz auf mich. Er sagte, ich wäre ein durchaus ungewöhnlicher Fall, da ich in den ersten Wochen nach meinem cerebrovasculären Anfall unter einem Totalausfall der Sinneswahrnehmung gelitten hätte und offensichtlich eine halbseitige linke Lähmung vorlag, aber keine Spur von Paroxysmen oder Beeinträchtigung des Sehvermögens. Ich machte keine Fehler beim Sprechen oder wiederholte mich.
Die Tatsache, daß ich seit drei Monaten kein Wort gesprochen hatte, bedeutete keineswegs, daß der Doktor sich irrte, wenn er mir keinerlei Sprachstörungen bescheinigte, wie sie bei Opfern von Schlaganfällen so häufig vorkommen. Ich sprach jeden Tag durch Howard oder Nancy oder Miß Sewell oder einen der anderen. Nachdem ich Dr. Hartman eine Weile zugehört hatte, zog ich meine eigenen Schlußfolgerungen, weshalb diese Fähigkeit nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Die Tatsache, daß es sich bei dem Schlag um eine ischämische Infarzierung vorwiegend der rechten Gehirnhälfte handelte, war sicherlich ein Hauptgrund, da sich die Sprachzentren meines Gehirns, wie bei den meisten Rechtshändern, in der linken - nicht betroffenen - Hälfte befanden. Dennoch, legte Dr. Hartman dar, litten Opfer von derart massiven CVAs, wie ich einen hatte, gelegentlich unter Sprech- und Wahrnehmungsproblemen, bis diese Funktionen in neue, unbeschädigte Regionen des Gehirns übertragen wurden. Mir wurde klar, daß aufgrund meiner >Gabe< bei mir ständig solche Übertragungen stattfanden - und jetzt, mit meiner verbesserten >Gabe<, war ich davon überzeugt, daß ich sämtliche Sprech-,
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