Kraft des Bösen
derart langwierigen Behandlung verfügten. Außerdem hatte er sich in der städtischen Leichenhalle umgesehen - wo man darauf beharrte, daß der Leichnam von Ms. Drayton von den Nachlaßverwaltern ihres Besitzes geholt und eingeäschert worden war -, aber das sprach nur für die Möglichkeit, daß sie noch am Leben war - oder ihr Körper in ein Versteck geschafft worden war -, denn als ich nacheinander rasch in den Verstand eines jeden Angestellten der Leichenhalle eindrang, fand ich einen - einen stumpfsinnigen Mann mittleren Alters namens Tobe -, der die unübersehbaren geistigen Spuren trug, daß er >benützt< worden war und den Befehl erhalten hatte, dieses >Benützen< zu vergessen.
In dieser Woche begann Culley damit, die Friedhöfe von Charleston zu besuchen und nach einem Grab Ausschau zu halten, das noch kein Jahr alt war und Ninas Leichnam beherbergen konnte. Ninas Familie stammte aus Boston, daher schickte ich Nancy nach Norden, als die Suche auf den Friedhöfen um Charleston erfolglos blieb - ich wollte nicht, daß Culley in dieser Zeit so lange fort war -, und sie fand die Familiengruft der Hawkins auf einem kleinen Privatfriedhof im alten Norden von Boston. Sie drang noch in der Freitagnacht in die Gruft ein, nach Mitternacht, mit einer Brechstange und einer Axt bewaffnet, die sie in einem K-Markt in Cambridge gekauft hatte, und führte eine gründliche Durchsuchung durch. Es lagen Hawkins im Überfluß da, elf an der Zahl, neun Erwachsene, aber keiner sah aus, als würde er weniger als fünfzig Jahre hier liegen. Ich betrachtete durch Miß Sewells Augen den zerschmetterten Schädel von Ninas Vater - er mußte es sein - und fragte mich nicht zum erstenmal, ob sie ihn 1921 nicht gezwungen hatte, vor diese Bahn zu springen, weil es sie verdroß, daß sie das blaue Coupé nicht kaufen durfte, dem sie in jenem Sommer ihr ganzes Herz geschenkt hatte.
Die Hawkins, die in dieser Nacht anwesend waren, bestanden nur aus Knochen und Staub und längst verfallenen Überresten von Leichentüchern, aber um vollkommen sicherzugehen, ließ ich Miß Sewell jeden einzelnen Schädel spalten und ins Innere sehen. Wir fanden nur grauen Staub und Insekten.
Dort versteckte sich Nina nicht.
So enttäuschend die Suche verlief, ich war erfreut, daß ich so klar denken konnte.
Meine Monate der Rekonvaleszenz hatten mich ein wenig verwirrt und meine sonst scharfe Wahrnehmung der Welt verlangsamt, aber jetzt konnte ich die alte intellektuelle Vitalität wieder spüren.
Ich hätte mir denken können, daß Nina beschlossen hatte, sich nicht bei ihrer Familie begraben zu lassen. Sie hatte ihre Eltern gehaßt und ihre einzige Schwester, die jung gestorben war, verabscheut. Nein, falls Nina tatsächlich ein Leichnam war, würde sie wahrscheinlich standesgemäß in einer neugekauften Villa ruhen, möglicherweise sogar hier in Charleston, hübsch gekleidet und täglich frisch geschminkt, in plüschgepolstertem Luxus auf einer prunkvollen Totenbahre inmitten eines ansehnlichen Aufgebots von Dienern der Toten. Ich muß gestehen, ich ließ Schwester Oldsmith ihr bestes Seidenkleid anziehen und zum Mittagessen in den Plantation Room des Mansard House gehen, aber dort deutete nichts auf Ninas Anwesenheit hin, und obwohl ihr Sinn für Ironie fast so ausgeprägt gewesen war wie meiner, wäre sie sicher nicht so dumm gewesen, ausgerechnet dorthin zurückzukehren.
Ich will aber nicht den Eindruck erwecken, als hätte ich die ganze Woche mit vergeblichem Suchen nach einer möglicherweise gar nicht existierenden Nina vergeudet. Ich traf praktische Vorkehrungen. Am Mittwoch flog Howard nach Frankreich und begann mit den Vorbereitungen für meinen künftigen Aufenthalt dort. Das Bauernhaus war noch so, wie ich es vor achtzehn Jahren verlassen hatte. In dem Bankschließfach in Toulon befanden sich mein französischer Paß, den Mr. Thorne erst vor drei Jahren verlängert hatte.
Es war ein Zeichen meiner unermeßlich gesteigerten Begabung, daß ich Eindrücke von Howard empfangen konnte, obwohl dieser mehr als zweitausend Meilen entfernt war. Früher hatten lediglich derart süperb konditionierte Handlanger wie Mr. Thorne so weit reisen und selbst dann nur auf eine vorprogrammierte Weise handeln können, die mir eine direkte Kontrolle unmöglich machte.
Durch Howards Augen betrachtete ich die bewaldeten Hügel von Südfrankreich, die Haine und orangefarbenen Rechtecke der Dächer des Dorfes in dem Tal bei meinem Landgut und staunte, daß die
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