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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Töten Sie ihn, bevor er .«
    »Halten Sie den Mund, Joseph«, sagte Barent. Er nickte Swanson zu. »Bringen Sie sie herein, dann können wir anfangen.«
    »Moment«, sagte Willi. Er schloß eine halbe Minute die Augen. »Es ist noch einer da.« Willi schlug die Augen auf. Sein Lächeln wurde sehr, sehr breit. »Noch eine Spielfigur ist eingetroffen. Dieses Spiel wird weitaus befriedigender, als ich mir je hätte träumen lassen, Herr Barent.«
    Saul Laski war von dem SS-Oberscharführer mit dem Heftpflaster am Kinn angeschossen und in die >Grube< geworfen worden, wo er zwischen Hunderten toter und nackter Juden lag. Aber Saul war nicht tot. In der plötzlichen Dunkelheit kroch er über den nassen Sand der >Grube< und das glatte, abkühlende Fleisch von Leichen, die Männer, Frauen und Kinder aus Lodz und hundert weiteren polnischen Städten und Dörfern gewesen waren. Die Taubheit in der rechten Schulter und dem linken Bein wurde zu brennenden Schmerzen. Er war zweimal angeschossen und in die >Grube< geworfen worden - schließlich doch noch -, aber er war noch am Leben. Am Leben. Und wütend. Die rasende Wut, die ihn durchströmte, war stärker als die Schmerzen, stärker als Erschöpfung oder Angst oder Schock. Saul kroch über nackte Leichen und den nassen Boden der >Grube< und ließ die Wut seinen unbeugsamen Lebenswillen nähren. Er kroch in der Dunkelheit weiter.
    Saul war sich vage bewußt, daß er eine Halluzination erlebte, und der professionelle Teil seines Verstandes war fasziniert und fragte sich, ob der Schock des Schusses sie ausgelöst hatte, während er gleichzeitig über die Glaubwürdigkeit der durch einen Zeitunterschied von vierzig Jahren überlagerten Realitäten staunte. Aber ein anderer Teil seines Bewußtseins akzeptierte die Erfahrung als Realität, als Lösung des ungelöstesten Teils seines Lebens - einer Schuld und Besessenheit, die ihn vier Jahrzehnte lang des Lebens beraubt hatte, eine Fixierung, die ihm Heirat Familie oder Gedanken an die Zukunft genommen hatte, während er vierzig Jahre lang sein eigenes unerklärliches Unvermögen zu sterben durchlebte. Sein Unvermögen, sich zu den anderen in der >Grube< zu gesellen.
    Und nun hatte er es geschafft.
    Die vier Männer, die an Land gekommen waren, riefen einander etwas zu und schwärmten hinter ihm aus, so daß sie einen Strandabschnitt von dreißig Metern Länge abdecken konnten. Kleine Handfeuerwaffen schossen in den Dschungel. Saul konzentrierte sich darauf, in fast völliger Dunkelheit weiterzukriechen, und tastete sich mit den Händen voran, während Sand und Gischt umgestürzten Baumstämmen und zäherem Sumpf wichen. Er senkte das Gesicht ins Wasser, hob es keuchend wieder und schüttelte Tropfen und Zweige aus dem Haar. Er hatte die Brille irgendwo verloren, aber das machte in der Dunkelheit nichts aus; er hätte zehn Schritte oder zehn Meilen von dem Baum entfernt sein können, den er suchte, und in dieser Schwärze spielte das überhaupt keine Rolle. Das Licht der Sterne drang nicht durch das dichte Laub über ihm, und lediglich ein vages Bild seiner blassen Finger dicht vor den Augen überzeugte Saul, daß die Kugel in der rechten Schulter ihn nicht irgendwie blind gemacht hatte.
    Als Arzt fragte sich Saul, wie schlimm er blutete, wo die Kugel saß - es war ihm nicht gelungen, eine Austrittswunde zu finden -, und wie schnell er medizinische Behandlung brauchen würde, wenn er eine Überlebenschance haben wollte. Die Frage schien allerdings rein akademischer Natur zu sein, als eine zweite Salve Gewehrfeuer fünfzig Zentimeter über Sauls Kopf durch das Laub fetzte. Zweige und Äste fielen mit leisen Ploplauten in den Sumpf. Dreißig Schritte hinter ihm rief eine Männerstimme: »Hier entlang! Er ist da rein! Kelty, Suggs, kommt her zu mir. Overholt, gehen Sie am Strand entlang, und achten Sie darauf, daß er nicht dort rauskommt!«
    Saul kroch weiter und erhob sich auf die Füße, als das Wasser hüfthoch wurde. Starke Taschenlampen erhellten den Dschungel hinter ihm mit unerwarteten Strahlen gelben Lichts. Saul stolperte zehn oder fünfzehn Schritte weiter, bis er plötzlich über einen untergetauchten umgestürzten Baumstamm fiel, sich beim Stürzen die Schenkel daran aufschürfte, während er Brackwasser einatmete, als sein Gesicht untertauchte.
    Als er sich wieder auf die Knie kämpfte und den Kopf hob, schien ihm der Strahl einer Taschenlampe direkt in die Augen.
    »Da ist er!« Der Strahl verschwand einen Augenblick, und

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