Kramp, Ralf (Hrsg)
Man musste sehr darauf achten, dass immer alles ordentlich geölt war. Er verschloss sorgfältig die Öffnung hinter sich. Man konnte nie wissen, ob nicht unerwartet jemand auf der Bildfläche erschien und das geheime Schlupfloch entdeckte. Dann stieg er fünf Betonstufen hinunter und folgte in gebückter Haltung dem etwa vier Meter langen Gang. Im angrenzenden kleinen Gewölbe konnte er wieder aufrecht stehen. Jetzt befand er sich schon unter den ersten Gräbern des alten Friedhofs. Die Anlage war leicht abschüssig in den Hügel getrieben worden, auf der mitten im Ort die katholische Pfarrkirche St. Andreas thronte.
Zu seiner Linken surrte die elektronische Anlage. Sie lieferte bis zu acht Tagen Energie. Nicht einmal ein Stromausfall konnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Was wäre, wenn plötzlich der Schließmechanismus versagte, weil ein Kurzschluss im Haus alles lahmlegte? Wenn sich die Stahltür eines Tages einfach so zur Seite schieben ließe? Dieses Risiko wollte er nicht eingehen.
Er drückte den Knopf, und die Tür schob sich fast geräuschlos auf. Lief alles hydraulisch. Er hatte sich das ganze Zubehör ausschließlich außerhalb der Region, in Koblenz, Trier und Bonn gekauft. Keiner sollte Verdacht schöpfen, wenn er sich nach Materialien erkundigte, die nichts mit seinem Beruf als Bestatter zu tun hatten.
An der Wand hing eine Fotografie des Pulvermaares, die er auf einen Meter mal einen Meter hatte vergrößern lassen. Es sollte ja auch ein bisschen wohnlich aussehen.
Welche Ironie. Das Foto war von Achim Schenk gemacht worden, dem Fotografen, der in zahlreichen Ausstellungen und mehreren Bildbänden die Schönheit der Vulkaneifel wiederzugeben versuchte. Wie hatte Olivia nur was mit einem wie dem anfangen können?
Er hatte im Dorf schon was mit mehreren Frauen gehabt. So ein aufgeblasenes Arschloch. Machte auf Fotokünstler und glaubte, sich alles rausnehmen zu dürfen.
Ein
Päädjen
hatte seine Verbindung zu Olivia ans Tageslicht gebracht. In der Hexennacht, der Nacht zum Ersten Mai, hatten sie eine deutlich sichtbare, leuchtend weiße Kalkspur von Olivias Tür bis zu dem Haus in der Strohner Straße gezogen, wo er mit seiner zweiten Frau und den drei kleinen Kindern wohnte.
Maternus drückte den Tesafilm an der linken unteren Ecke des Bildes fest. Es gab hier weder Nägel noch Heftzwecken. Alles zu gefährlich. Er ging auf Nummer sicher.
Das Pulvermaar – der tiefste Binnensee Deutschlands. Über siebzig Meter. Meinte man gar nicht. Hier ging Achim Schenk jeden Sonntagmorgen um sieben Uhr schwimmen. Von Anfang Mai bis Ende September. Und fast genau in der Mitte des Sees hatte ihn Maternus erwischt und in die Tiefe gezerrt.
Der Witz an der Sache war nicht allein die Tatsache, dass dieses Foto jetzt hier hing, sondern auch, dass man ihm die Leiche Schenks danach ganz unverfänglich ins Haus geliefert hatte, damit er sie unter die Erde brachte.
Als er so vor ihm lag, hatte er ihm gegen die Nase geschnippt, hatte ihm das rechte Ohr langgezogen und böse geflüstert: »Da hätten wir wohl besser die Finger von gelassen, was?«
Olivia war nicht zu der Beerdigung erschienen. Das wäre auch zu kompliziert gewesen mit der Ehefrau und den Kindern.
Die dicken, mit Metall eingefassten Plexiglasscheiben der in die Wand eingelassenen Lampen lagen auf der Pritsche. Es war wichtig, dass keine scharfen Ecken und Kanten blieben. Im Schein einer Akkuleuchte schraubte er die Birnen in die Fassungen und presste dann das Plexiglas in die Vertiefungen. Mit einem satten Klack rasteten die Halterungen ein. Man brauchte Spezialwerkzeug, um sie wieder zu öffnen. Am Schluss brannten alle acht Lampen. Alles musste gut ausgeleuchtet sein. Vierundzwanzig Stunden lang. Er wollte alles sehen.
Dann war da Manni Leisch gewesen, der Tag für Tag an seinen Traktoren rumschraubte. Beim großen Treckertreffen der Schlepperfreunde Gillenfeld hatte Maternus ihn beobachtet. Ihn und Olivia. Sie hatten sich auf dem Minigolfplatz in den Büschen rumgedrückt und geknutscht und gefummelt, als könne niemand sie sehen.
Aber
er
sah sie doch!
Wusste sie denn gar nicht, dass er da war? Immer in ihrer Nähe? Hungrig? Süchtig?
Ein paar Tage später hörte er im Edeka, dass sie wohl irgendjemandem gegenüber geäußert hatte, ein anonymer Anrufer belästige sie seit geraumer Zeit.
Belästigte
? Ganz selten hatte er sie direkt am Telefon gehabt. Manchmal nachts, wenn ihre Stimme schlaftrunken, wenn ihr »Olivia
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