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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel 4
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und schwer und hing an einem der Bretter. Es hinderte ihn auf dem Rückweg zur Kiste, aber er schaffte es trotzdem zügig. Auf den letzten Metern stieß er mit aller Gewalt an ein blau getöntes großes Blech, das umfiel und gegen eine alte Badewanne schepperte. Es war die Motorhaube eines Ackerschleppers, und der Krach hörte sich an wie ein schlechtes Kurorchester – falsch, aber laut und nachhallend.
    »Wilhelm, Wilhelm«, klagte Olga fieberhaft.
    »Ich mache die Kiste jetzt auf«, teilte Alschowski mit.
    Es war schwierig, mit der überdimensionalen und viel zu großen Zange umzugehen. Sie rutschte immer wieder ab, oder das Vorhängeschloss wurde zur Seite weggedrückt. Alschowski fluchte lauthals und sehr grob. Endlich fasste das Gerät, es schnitt wie Butter durch den Stahl.
    »Ich gehe jetzt da rein!«, teilte er mit, und er kam sich lächerlich vor. Er ging auch nicht hinein.
    Der Gestank überfiel ihn wie eine große, alles hinwegreißende Welle und nahm ihm die Luft. Er würgte, er übergab sich augenblicklich. Es tat weh, es nahm kein Ende. Er kniete auf den Pflastersteinen der Scheune, den Kopf sehr tief auf dem Boden. Er versuchte immer wieder »Mein Gott!« zu stammeln, aber er brachte keinen Ton heraus.
    Der schwache Lichtstrahl der Taschenlampe streifte die Toten am Tisch. Es waren vier. Es waren vier Frauen. Genaues wollte er nicht sehen, Genaues würde ihn bis an sein Lebensende verfolgen, Genaues nahm ihm die Besinnung.
    »Es sind vier Frauen«, sagte er würgend in das Handy. »Sie sitzen an einem Tisch. Oh mein Gott, ich brauche frische Luft.« Von irgendwoher kam ein Lufthauch. Er suchte die Scheunenwand mit dem Lichtstrahl ab. Neben einem großen hölzernen Hängetor war ein schwarzer Strich. Da klaffte eine Lücke.
    Er übergab sich erneut und zwang sich, diese Lücke zu erreichen. Er atmete so vorsichtig, als habe er es verlernt.
    »Pass auf«, sagte er müde. »Du musst jetzt genau zuhören. Genau zuhören, verstehst du?«
    »Ich höre zu«, sagte Olga.
    »Da sitzen vier tote Frauen an einem Tisch. Sie sitzen so, als würden sie noch leben. Du rufst jetzt den Polizeinotdienst. Du sagst, sie müssen sofort hierher kommen. Aber ohne Tatütata und ohne Blaulicht ...«
    »Hör zu!«, unterbrach sie ihn scharf. »Da sind Leute!«
    »Was für Leute?«, fragte er irritiert.
    »Na ja, du warst zu laut. Sie stehen vor Ottos Haus. Sie hören dir zu.«
    »Das ist mir jetzt scheißegal«, sagte er würgend. »Hast du verstanden? Sofort! Vier tote Frauen. Ohne das Horn und das Blaulicht.«
    »Mach das doch selbst«, explodierte sie. Dann etwas milder: »Mache ich, mache ich sofort. Und was machen wir mit den Leuten auf dem Hof?«
    »Blase ihnen am besten eine kleine Nachtmusik!«, äußerte er grob. »Over! Ende!«
    Er drehte sich, wollte in die Riesenkiste hineinsehen und dachte verkrampft: Das ist meine Pflicht!
    Er benutzte die Taschenlampe nicht mehr, er würde es nicht ertragen können, in diese toten Augen zu sehen. Er tastete sich vorwärts, denn er hatte die beklemmende Angst, er würde gleich zu weinen beginnen. Er würgte wieder. Dann schaltete er die Taschenlampe an.
    Otto, dachte er, ich nehme an, du bist sehr gründlich gewesen. Und du baust niemals im Leben eine große Kiste für vier Frauen ohne Licht. Natürlich hast du eine Lichtleitung gelegt. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben, nicht wahr, mein lieber Otto?
    Die Lichtleitung sah aus wie ein schwarzer Wurm. Er sah auch den Schalter neben der Tür und drehte das Licht an.
    Alschowski bemühte sich, nicht durch die Nase zu atmen.
    Die vier Frauen saßen nebeneinander am Tisch. Davor stand ein uralter kleiner Sessel mit rotem Stoffbezug. Er erinnerte sich daran, einen solchen Sessel im Wohnzimmer des Hauses gesehen zu haben. Da saß Otto in den stillen Stunden höchsten Glücks und starrte auf sein Werk, sein Totenwerk.
    Das Licht war nicht grell, es war schummrig.
    Wenn er den Mund leicht öffnete und möglichst schwach atmete, war es jetzt erträglich.
    Hinter den vier Frauen hatte Otto ein Bettlaken an die Bretterwand geheftet. Darauf stand in blutroten Buchstaben aus Papier: »Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!«
    Alschowski fand die dritte von rechts am brutalsten. Augen gab es nicht mehr, es waren leere Höhlen. Sie hatte rote lange Haare, die ihr graues Gesicht umrankten wie ein sehr fremdes, unheimliches Gewächs. Der Mund stand weit offen, da war irgendetwas Flüssiges herausgelaufen. Ihre Haut war

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